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Wenn sich die Katze in den digitalisierten Schwanz beißt

Ich sitze wieder einmal im Zug. 1. Klasse. Das ist nur deshalb von Bedeutung, weil die Bahn das doppelt so hohe Fahrgeld unter anderem mit kostenlosem WLAN begründet. Aber wie so oft, funktioniert das drahtlose Netz nicht. Die freundlich, dümmliche Auskunft des Zugbegleiters –„wir müssen mal schauen, was wir da machen können“ hilft wie praktisch immer auch nicht weiter. Entweder hat der gute Mann nicht geschaut oder er konnte nichts machen. Also versuche ich mir mit dem Handy internen Drahtlos-Router zu helfen. Aber klar, wie so oft, keine Netzverbindung. Nachdem ich danach leicht verzweifelt, weil offline, vergeblich noch ein paar Handy-Hotspots anderer Benutzer angesurft habe, die alle Kennwort-verschlüsselt sind, gebe ich auf und arbeite so gut ich kann ohne Internet-Verbindung.

Armes Deutschland. Wer im DACH-Raum oder im europäischen Ausland reist, findet teilweise sehr viel bessere kostenfreie Online-Infrastrukturen vor. In Bahnen, öffentlichen Plätzen oder Bussen ist Deutschland WLAN-Diaspora. Im armen Irland zum Beispiel gibt es in jedem noch so klapprigen Überlandbus kostenloses WLAN mit ausreichend Bandbreite, so dass sich auch viele Fahrgäste den Hotspot bequem teilen können.

Ich frage mich, was großangekündigte Digitalisierungsinitiativen erreichen wollen, die einen einheitlichen digitalen europäischen Marktplatz wollen oder mit Industrie 4.0 komplett digitalisierte Fertigungsprozesse, wenn wir weder leitungsgebunden noch drahtlos Bandbreiten überall in Deutschland zur Verfügung stellen können, die für eine einigermaßen schnelle Internetverbindung sorgen. Ich rede wohlgemerkt nicht von 50 mbit und mehr pro Sekunde. 10 würden für einen einigermaßen zügigen Datenaustausch schon ausreichen, mehr wären natürlich gut und einer Postindustrie-Nation wie der unseren angemessen. Aber das scheitert offenbar am fehlenden digitalen Grundverständnis.

Bundes- und Landesregierungen hadern mit den hohen Kosten, die ein Bandbreitenausbau in der Fläche bedeuten würde. Sie setzen daher auf die Unterstützung der Großprovider wie der Telekom, die sich das Geld für Ihre Breitband-Investitionen am Ende vom Verbraucher wiederholen müssen. Das führt zu den unsäglichen Debatten um Netzneutralität. Wird diese abgeschafft, wird der Zugriff auf die wichtigste Infrastruktur der Zukunft für große Teile der Verbraucher eingeschränkt. Und spätestens dann beißt sich die Katze in den digitalisierten Schwanz. Ohne breitbandigen Internetzugriff keine flächendeckende Digitalisierung und damit kein digitales Wirtschaften.

Deshalb muss der Breitbandausbau – zumindest auf dem Land (und in der Bundesbahn) öffentliche Aufgabe werden, genauso wie Bund, Länder und Gemeinden für reale Infrastruktur sorgen (Straßen, Wasser, öffentlichen Verkehr etc) müssen sie auch für die Dateninfrastruktur sorgen. Wenn man bedenkt, wie viel Geld für nutzlose Flughäfen, teure Hallenbäder oder Dank Konjunkturprogramm 2 überdimensionierte Kreisverkehre oder autobahnbreite Fahrradwege ausgegeben wird, dann dürfte doch auch die republikweite Internetinfrastruktur mit etwas Anstrengung zu stemmen sein. Es ist einfach eine Frage der Prioritäten und die werden zurzeit von der Bundesregierung leider noch falsch gesetzt. Ich jedenfalls fiebre dem Tag entgegen, wenn ich mein Device anschalten kann und überall eine möglichst kostenfreie Internet-Verbindung habe. Selbst in der Bahn und da nicht nur in der 1.Klasse.

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About Christoph Witte

Christoph Witte arbeitet als IT-Publizist und Kommunikationsberater in München. Seit langem ist er fester Bestandteil der IT-, TK und Online-Community in Deutschland.

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