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Kalte Cyber-Krieger bedrohen die Freiheit im Netz

Kommentar:
Kalte Cyber-Krieger bedrohen die Freiheit im Netz

Im Namen von Sicherheit und Freiheit des Internet ist zurzeit überall auf der Welt ein Cyber-Wettrüsten zu beobachten. Das reicht von Supermächten wie USA und China bis hin zu Terrororganisationen wie dem IS. Jeder versucht, so viele sensible Daten wie möglich zu ergattern, Hintertüren zu kritischen Systemen zu öffnen, die den potenziellen Gegner schwächen oder zumindest seine Propaganda ungestört zu verbreiten.

Dabei stehen im Cyber War – genauso wie im physischen Krieg – Millionen Menschenleben, Infrastrukturen und Wirtschaftssysteme auf dem Spiel. Der Unterschied: Es explodiert nicht so viel und gestorben wird langsamer. Ein Viren-verseuchtes Bankensystem bringt die Menschen allein nicht um, aber gepaart mit dem großflächigen Ausfall der Energieversorgung, gezielt ausgelösten Katastrophen an Kraftwerken, Schienen- oder Autoverkehr können Serien von gezielten Cyber-Attacken Nationen ebenso in die Knie zwingen wie physisch kriegerischer Angriffe.

Offenbar betrachten alle Regierungen den Cyberraum als zu verteidigendes Territorium, zumindest aber als zu verteidigenden Interessensraum. Dabei folgen sie der typischen militärischen Logik, die da lautet: Sei entweder bereit, als erster vernichtend zuzuschlagen oder aber fähig, dich effektiv zu verteidigen. Der 2. Teil der Doktrin läuft wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges darauf hinaus, die sogenannte 1.Schlagfähigkeit des Gegners mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das wiederum bedeutet, dass jeder versucht, Waffen zu entwickeln, die der Gegner bei einem 1.Schlag nicht vernichten kann.

Wird dieses „Gleichgewicht des Schreckens“ in den Cyberspace übersetzt, kann man davon ausgehen, dass die Hochrüstung der Cyber-War- und Spionagefähigkeiten, die zurzeit weltweit zu beobachten sind, erst zur flächendeckenden Bedrohung der viel zitierten Freiheiten im Cyberraum führt.

Neues Schlachtfeld im  Cyber-Raum

Der Eindruck verstärkt sich, dass die kalten und heißen Krieger aller Seiten im globalen Cyber-Raum ein neues Schlachtfeld gefunden haben, auf dem sie sich mit ähnlich zerstörerischen Waffen gegenseitig bedrohen wollen wie im Kalten Krieg der 50er bis 90er Jahr. Dabei lässt sich das alte Vokabular wunderbar verwenden: Es geht um „Sicherheit“, „Offenheit“, „Freiheit“ „Menschenrechte“, und „Security“. (Seltsamerweise büßen wir bei der Absicherung des Netzes immer mehr „Offenheit“ und „Freiheit“ ein, – verlieren also genau das, worum westliche Regierungen angeblich kämpfen)

Den kalten Cyber-Kriegern und Spionen (die ja bekanntlich auch aus der Kälte kommen) sollte nicht das Feld überlassen werden. Das führt zu den gleichen Blöcken, Cyber-Stacheldraht –Mauern und –Bomben, die der älteren Generation sattsam bekannt sind.

Absichern, was nicht bedroht ist, ist Schwachsinn

Worum wir kämpfen sollten – so naiv es auch für die Zyniker unter uns auch klingt – ist ein weltweites Moratorium von Cyber-Spionage und Cyberkrieg. Das Internet kann nur dann offen und frei bleiben, wenn Militärs und Spione soweit wie möglich fern gehalten (das gilt natürlich auch für Cyberkriminelle, aber um die geht es hier nicht) oder in ihren Aktivitäten stark eingeschränkt werden. Prophylaktisch zu verteidigen und abzusichern – das heißt praktisch immer auch einzuschränken – was gar nicht bedroht wird, ist Schwachsinn.

Damit will ich keineswegs bestreiten, dass im Netz außergewöhnlich viele kriminelle und Cyber-War-Aktivitäten zu verzeichnen sind. Aber es sind deutlich weniger als uns in den Hochrechnungen der Sicherheitsexperten und Abschirmdienstler Glauben gemacht wird. Außerdem sind eine Verteidigungsstrategie und die Werkzeuge zu ihrer Umsetzung aus anderer Perspektive betrachtet immer eine Angriffsstrategie und die Werkzeuge Waffen.

Keine Waffe ist durch Moratorium oder Ächtung aus der Welt verschwunden. Es werden zum Beispiel immer noch Menschen durch Streubomben ermordet, aber es sind weniger als vor ihrer Ächtung vor fünf Jahren. Natürlich ist es naiv anzunehmen, dass eine Ächtung einen Cyberkrieg oder Spionage-Exzesse verhindert, aber sie machen sie vielleicht ein Stück unwahrscheinlicher.

Wahrscheinlich würde schon eine breit geführte öffentliche Debatte helfen, den NSAs, BNDs oder GCHQs dieser Welt den Spaß an Cyber-Krieg und –Spionage verderben. Allerdings sollte sich die Diskussion nicht nur von dem inspirieren lassen, was an Sicherheitslücken und Angriffen alles vorkommen kann oder was die Chinesen alles Böses planen, sondern auch davon, welche Möglichkeiten uns ein hochbewachter, künstlich re-nationalisierter Cyber-Raum nimmt.

Dieser Kommentar wurde ausgelöst durch folgende Meldung auf Sueddeutsche.de

21,5 Millionen US-Amerikaner von Cyber-Angriff betroffen

Foto: Gorgia National Guard

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About Christoph Witte

Christoph Witte arbeitet als IT-Publizist und Kommunikationsberater in München. Seit langem ist er fester Bestandteil der IT-, TK und Online-Community in Deutschland.

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