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Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft mit zwei Geschwindigkeiten

Für die Immobilienwirtschaft, die jeden zehnten Arbeitsplatz hierzulande stellt, war Digitalisierung bislang kaum ein Thema.  Zwar setzten einige Unternehmen schon früh auf Vermittlungsplattformen für Wohnungen im Netz oder auf crowdbasierte Immobilien-Investments für Kleinanleger. Das Gros der Unternehmen blieb jedoch eher traditionellen Geschäftsmodellen treu.  Doch auch sie holen mittlerweile auf. Mobile Arbeitsgeräte beim Ablesen von Energieverbrauchsdaten oder Mieterdaten in virtuellen Datenräumen sind dort Standard.

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Eine Umfrage des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss, die gemeinsam mit der Unternehmensberatung Ernst & Young Real Estate (EY Real Estate) durchgeführt wurde, zeigt: Nicht nur technologieorientierte Start-ups der Branche (PropTech-Start-ups), sondern auch die traditionellen Immobilienunternehmen haben das Thema Digitalisierung auf der Agenda. 90 Prozent der Befragten bestätigen das.

Big Data kann Trends aufzeigen

Dabei sehen die etablierten Vertreter und die jungen Technologieunternehmen der Immobilienwirtschaft erstaunlich ähnliche Trends. Ein Beispiel: „Beide Gruppen halten Big Data und Datenstrukturierung allgemein für wichtige Zukunftsthemen“, sagt Martin Rodeck, Innovationsbeauftragter beim ZIA und Geschäftsführer der OVG Real Estate in Deutschland.

Datenstrukturierung nennen beachtliche 95 Prozent der Befragten in beiden Gruppen, beim Thema Big Data sind es kaum weniger. „Ziel ist es, Rückschlüsse auf das Verhalten der jeweiligen Kunden zu schließen“, so Rodeck. „Warum klicken viele Nutzer eine bestimme Immobilie an, eine andere aber nicht?“

Die jungen Technologieunternehmen der Immobilienwirtschaft setzen bereits jetzt mehrheitlich auf Big Data (55 %). „Oder aus Sicht eines klassischen Immobilienfonds: Ziehen auffällig viele ähnliche Büromieter in einen bestimmten Stadtteil oder einen bestimmten Immobilientypus wie beispielsweise sanierte Fabriketagen?“

Zwar sind Immobilienfonds und andere etablierte Unternehmen der Branche beim Thema Big Data noch zurückhaltender (42 %), wollen aber aktiver werden. „Eine automatisierte Auswertung großer Datenmengen kann in vielen Fällen Trends aufzeigen, möglicherweise auch Wanderungsbewegungen innerhalb einer Stadt sichtbar machen“, meint Rodeck.

Unterschiedliche Bewertung von Trends

So ähnlich die Ziele der beiden Gruppen in vielen Feldern sind – nicht alle Zukunftsvisionen werden geteilt. Ein Beispiel ist die künstliche Intelligenz. „Das Thema wird von den etablierten Unternehmen als weniger wichtig gewertet“, sagt Christian Schulz-Wulkow, Leiter des Immobiliensektors in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei EY.

Gleiches gilt für  Augmented Reality – ein Beispiel wären hier Datenbrillen für virtuelle Wohnungsbesichtigungen – oder für das Internet der Dinge: Die etablierten Marktteilnehmer haben die Themen auf der Agenda, halten sie aber nur bedingt für wichtig.

Möglicherweise unterschätzen hier einige Unternehmen die Kraft der Veränderung: „Ein Großteil der Befragten geht davon aus, dass sein Kerngeschäft durch den digitalen Wandel und durch die jungen Technologie-Unternehmen nicht in Gefahr ist. Auch die Immobilienwirtschaft wird mit einer neuen Realität konfrontiert werden, clevere Outsider drohen mit neuen Businessmodellen ins angestammte Geschäft einzudringen“, kommentiert Schulz-Wulkow die Befragungsergebnisse.

Miteinander statt gegeneinander

Nur 14 Prozent der Befragten sehen eine ernst zu nehmende Gefahr. „Im Gegenteil erwarten viele der etablierten Marktteilnehmer, dass ihr Geschäft durch die innovativen Player zusätzlich beflügelt wird“, so Schulz-Wulkow. Umgekehrt denkt die Mehrheit der digitalen Jungunternehmer (63 %) allerdings durchaus, dass sie die alten Platzhirsche herausfordern können.

Der ZIA plädiert hier für ein Miteinander-statt-Gegeneinander. „Kooperationen bieten Chancen für beide Seiten, nur werden sie bislang noch nicht ausreichend genutzt“, sagt Rodeck. „Dabei muss es nicht immer gleich Geld sein, das ein etabliertes Unternehmen in ein Start-up investiert. Oft genügen schon der Informationsaustausch und das Eröffnen von Netzwerken im Sinne einer Annäherung.“

Eine solche Annäherung scheint sinnvoll: Die Umfrage habe gezeigt, dass die jungen Technologieunternehmen der Immobilienwirtschaft einen deutlichen Vorsprung beim Thema Digitalisierung haben. „Wir haben in der Branche derzeit noch zwei Geschwindigkeiten“, beobachtet Rodeck.

Digitale Hauptstadt Berlin

Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt 114 Technologie-Start-ups jeweils mit Gründungsjahr, Unternehmensschwerpunkt und Gründungsort erfasst. Zum größten Teil wurden die Teilnehmer in den vergangenen drei Jahren ins Leben gerufen. Rund 42 Prozent der jungen Unternehmen (48 Start-ups) gründeten sich im Raum Berlin. Dahinter folgt Bayern mit einem Anteil von 18 Prozent (21 Start-ups); die Unternehmen haben sich hier überwiegend im Raum München angesiedelt. Hamburg belegt mit zehn Unternehmen den dritten Platz im Ranking der Digital-Standorte. „Wer beispielsweise erwartet hätte, dass die immobilienwirtschaftlich orientieren Start-ups aus dem Bereich Finanztechnologien überwiegend im Raum Frankfurt angesiedelt sind, muss feststellen, dass sich diese Unternehmen über sechs Regionen verteilen“, sagt Schulz-Wulkow.

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Über die Studie: Insgesamt haben 152 sowohl privatwirtschaftliche als auch öffentliche Unternehmen Auskunft über ihre digitalen Strategien gegeben. Die teilnehmenden etablierten Immobilienunternehmen sind dabei in erster Linie in der Nutzungsphase (zum Beispiel in Mieterbetreuung) oder in der Phase der Investition/Finanzierung aktiv. Dabei beschäftigen sie sich schwerpunktmäßig mit Büro-, Wohn- und Einzelhandelsimmobilien. Die befragten technologienahen Unternehmen bewegen sich mehrheitlich in der Phase der Vermarktung (zum Beispiel als Online-Makler) und der Nutzung. Sie fokussieren sich dabei auf die Wohnimmobilie.

 

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