Home / Allgemein / Gigaset CIO Riegel: „Wir haben alles in Frage gestellt“

Gigaset CIO Riegel: „Wir haben alles in Frage gestellt“

Im November 2013 wurde Gilbert Riegel im Wettbewerb von Computerwoche und CIO als CIO des Jahres in der Kategorie Mittelstand sowie mit dem Sonderpreis „Operational Excellence Award“ ausgezeichnet.

Im November 2013 wurde Gilbert Riegel im Wettbewerb von Computerwoche und CIO als CIO des Jahres in der Kategorie Mittelstand sowie mit dem Sonderpreis „Operational Excellence Award“ ausgezeichnet.

Interview mit Gigaset CIO Gilbert Riegel über die Herausforderungen eines IT-Carve-Outs und der Umstellung von einer Konzern-IT auf eine Systemlandschaft, die den Anforderungen eines mittelständischen Unternehmens gerecht wird. 

 ?: Wo lagen die größeren Herausforderung – in der eigentlichen Ablösung der IT von Siemens oder in der anschließenden Transformation?

Riegel: Beim Herauslösen mussten wir unbedingt den Zeitplan einhalten. 9 Monate sind eine kurze Zeit für so ein Projekt. Danach verfügte Gigaset über eine IT, die überlebt hat, aber noch nicht nach sauberen Prozessen strukturiert und nicht kostenoptimiert war. Sie funktionierte aufgrund des enormen Teamgeists und nicht, weil wir über eine klare, selbstdefinierte Architektur verfügten.

Deshalb mussten wir im Anschluss an den Carve Out prüfen, welche Applikationen und welche Plattformen wirklich zu uns passen und kosteneffektiv sind. Zu diesem Zeitpunkt haben wir alles in Frage gestellt. Uns war außerdem klar, dass alles, was wir nicht selbst in die Wege leiten, auch nicht funktionieren würde. Für die IT war der Carve Out wahrscheinlich noch einschneidender als für die Business-Seite, weil wir ja bis dahin in einem arbeitsteiligen Konzernverbund gearbeitet hatten. Das hatte zwar auch seine Nachteile, aber es war eigentlich immer für alles gesorgt. Jetzt konnten wir zwar nicht mehr auf einen zentralen Dienstleister und das Know How der Zentrabteilungen zurückgreifen, aber wir hatten die Chance, viel selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Das haben wir getan.

?: Was haben Sie verändert?

Riegel: Vor der Selbständigkeit waren wir eine Dienstleister steuernde IT, heute verfolgen wir einen „Best of Breed“ Ansatz und erbringen viele Service mit einem hohen Eigenleistungsanteil. Bei Siemens war die IT sehr stark auf Synergien ausgerichtet. Hier stand dann unter Umständen auch mal das Konzern Gesamtinteresse über den Bedürfnissen der einzelnen Geschäftszweige. Deshalb mussten wir nach dem Carve Out das ganze Setup hinterfragen. Unser Mantra war Kosten, Architektur und Standards. Wir haben deshalb viele der übernommenen Konzernlösungen durch für unsere Unternehmensgröße und Geschäftsmodell geeignetere Standardsoftware abgelöst. Eine große Herausforderung war es in diesem Umbauprozess auch die aktuellen IT Innovationsthemen und Businessanforderungen voranzutreiben und zu integrieren.

 
Neustart für Business und IT

?: Durch die neue Konstellation kamen sicher etliche neue Anforderungen von der Business-Seite auf Sie zu. Wie ist die IT damit umgegangen?

Riegel: Die Anforderungen der Transformation haben zu einem sehr intensiven Dialog zwischen Business und IT geführt. Ein solch langes Projekt und das Erleben der Ausgliederung schweißt natürlich auch zusammen. Das war wie ein Neustart für Business und IT. Wir haben viel diskutiert und sind während des Prozesses sehr viel näher an die Fachabteilungen herangekommen und genießen heute eine viel höhere Akzeptanz. Das liegt sicher auch daran, dass die Plattformen und Systeme, für die wir uns letztlich entschieden haben, sehr viel kostengünstiger und besser weiterzuentwickeln sind. Die Businessseite versteht jetzt unsere Zwänge besser und wir wissen genauer, was sie benötigt. Mit jedem Teilprojekt, das wir gemeinsam bewältigt haben, stieg die Akzeptanz und dadurch schritt die Einbindung der IT ins Business immer weiter voran. Bei Gigaset sind Business und IT heute auf zahlreichen Ebenen verzahnt, viele Mitarbeiter und IT-Spezialisten denken mit und suchen gemeinsam die beste Lösung, so dass „Innovation von unten“ stattfindet und Veränderung nicht nur durch das Management vorgegeben wird.

 Die Rolle der IT hängt von der Unternehmenskultur ab

?: Auf der einen Seite spielt die IT in Unternehmen heute eine größere Rolle bei der Gestaltung von Produkten und Services. Auf der anderen Seite kaufen Fachabteilungen unabhängig von der IT-Abteilung IT-Services zum Beispiel in der Cloud ein. Wie wird sich die Zusammenarbeit zwischen Business und IT weiterentwickeln – über das bisherige Alignment hinaus?

Riegel: Die angestammten Geschäftsmodelle von Unternehmen werden zunehmend und immer schneller von neuen Branchenteilnehmern bedroht. Wir haben die Bedeutung der Digitalisierung der Kundenschnittstelle und die Virtualisierung komplexer Dienstleistungen im Buchhandel erlebt, in der Reisebranche und wir erleben, wie diese Kundenbeziehung auch für neue Produkte und Services ausgebaut wird. Mittlerweile geht es dabei auch verstärkt um die Daten, die in diesem Prozess gewonnen werden können. Diese werden nicht nur klassisch von Vertrieb und Marketing genutzt, sondern diese Informationen haben Auswirkung auf die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens und deren Supply-Chain-Partner. Unternehmen reagieren darauf, in dem sie versuchen, sich zu flexibilisieren und selbst neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei spielt die IT eine immer größere Rolle. Deshalb müssen IT und Business künftig extrem eng zusammenarbeiten. Dabei sollte man die Trennung von IT und Business dort aufheben, wo sie keinen Sinn mehr ergibt, wo sie nur Reibungsverluste erzeugt. Unternehmen sollten die Aufgaben an die Teams vergeben oder Teams schaffen, die sie am besten bewältigen können – gleichgültig, ob es sich dabei um Fach- oder IT-Abteilungen handelt. Wesentlich dabei ist eine klare Governance, die regelt, wer was machen darf. Dabei sind solche Steuerungsstrategien nicht in Stein gemeißelt. Sie verändern sich ebenfalls. Bei aller Notwendigkeit für mehr Geschwindigkeit, niedrigere Kosten und mehr Flexibilität sollte die Governance allerdings die ursprünglichen Motive für die Gründung von IT-Abteilungen nicht vernachlässigen. Die Notwendigkeit, Wissen/Informationen im Unternehmen zentral, schnell und möglichst kostengünstig zur Verfügung zu stellen und verarbeitbar zu halten, ist schließlich nicht verschwunden. Im Gegenteil – das ist nach wie vor eine große Herausforderung für die Unternehmen zumal immer mehr Beteiligte in- und außerhalb des Unternehmens mit Informationen und digitalen Services versorgt werden müssen.

Mit Produkten wie diesen, reüssiert Gigaset seit 2009 als eigenständiges Unternehmen am Markt für Kommunikationsprodukte und -services

Mit solche Produkten tritt Gigaset seit dem Carve Out von Siemens am Markt für Kommunikationsendgeräte und -services aus.  Lesen Sie alles über das 4 Jahre dauernde Transformationsprojekt hier.

Es hängt sehr stark von der jeweiligen Unternehmenskultur ab, welche Rolle die IT einnehmen kann. In einigen Organisationen wird die IT in die Rolle eines Infrastruktur-Dienstleisters zurückfallen, in anderen wird sie einer der wesentlichen Treiber des Geschäftes sein und sogar mehr sein als ein Partner des Business, in dem sie Teile des Geschäfts selbst verantwortet. Meine Erfahrung ist allerdings, dass sich die IT das erarbeiten muss. Nur weil die Medien darüber schreiben, wird das nicht automatisch Realität. Die IT muss die entsprechenden Business Skills ausbauen, die Technologien beherrschen und die Akzeptanz erarbeiten. Dann kann sie das Business verstärken.

 
Neue Töne bereichern IT-Mainstream

?: Wird es in Zukunft noch eine Mainstream-IT geben, die den großen Industriestandards folgt oder greift wegen der sehr unterschiedlichen Anforderungen wieder eine Art Individualisierung der IT um sich?

Riegel: Solange IT in erster Linie aus der ökonomischen Brille gesehen wird, spielen Kosten, Kostenoptimierung und damit Standardisierung eine zentrale Rolle. Deshalb wird es weiterhin einen IT-Mainstream geben, dem die IT-Chefs auf der Jagd nach möglichst großer Effektivität folgen werden. Je stärker aber Usability-Aspekte und Customer-Experience eine Rolle spielen, desto eher treten ökonomische Mechanismen wie Kostenkontrolle und Standardisierung in den Hintergrund. Natürlich wird man auch bei der Entwicklung eines differenzierenden Kundenerlebnisses auf die Kosten schauen, aber sie stehen nicht im Vordergrund. Die Kundenperspektive führt deshalb zu einer stärkeren Ausdifferenzierung der IT. Zwar bleiben Kosten, Integration, Standardisierung der Gleichklang, der in der IT noch lange zu hören sein wird. Aber darunter mischen sich eben auch neue Töne wie User Experience und Consumerization. Letztendlich definiert sich aus der Unternehmensstrategie, dem Marktumfeld und der Kultur des Unternehmens die Anforderung an die Unternehmens IT.

 
Mission accomplished bei Gigaset

?: Herr Riegel. Sie sehen im Abschluss des erfolgreichen IT-Umbaus auch das Ende Ihrer Rolle als CIO bei der Gigaset – ist das richtig?

Riegel: So kann man das sagen. Für mich heißt es „mission accomplished“. Die IT ist genau dort, wo sie plangemäß sein soll. Mit der letztjährigen Transformation und Bündelung aller IT-Funktionen, vom Applikationsmanagement, Teilen der SAP Betreuung bis zu den Strategie- und Governance-Funktionen am Standort Bocholt sowie dem gezielten Aufbau meines Nachfolgers, innerhalb der eigenen Reihen, ist alles getan, um überzeugt „mission accomplished“ sagen zu können.

Share

About Christoph Witte

Christoph Witte arbeitet als IT-Publizist und Kommunikationsberater in München. Seit langem ist er fester Bestandteil der IT-, TK und Online-Community in Deutschland.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*