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Digitale Verwaltung in Deutschland: Es zieht sich hin

Der Aufbau einer digitalen Verwaltung in Deutschland zieht sich hin. 16 Prozent der Behörden vermelden, dass sie Verwaltungsleistungen gemäß Onlinezugangsgesetz vollständig oder weitgehend über das Internet anbieten. 61 Prozent befinden sich mitten in der Umsetzung. Größere Fortschritte gibt es bei der Umsetzung des E-Government-Gesetzes, beispielsweise bei der Online-Vergabe von Aufträgen.

Das sind die Ergebnisse des „Branchenkompass Public Sector 2020“ von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut. Für die Studie wurden 100 Entscheider aus 100 deutschen Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen befragt.

Die Covid-19-Beschränkungen haben der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung einen Schub verliehen. Die Nutzung des derzeit vorhandenen Online-Angebots hat stark zugenommen. „Die Behörden bekommen nun konkret vor Augen geführt: Es gibt noch zu viele reine Informationsangebote und zu wenige echte digitale Verwaltungsdienstleistungen. Das werden viele nun schnell ändern wollen“, sagt Bernd Baptist, verantwortlich für die Geschäftssparte Public Sector bei Sopra Steria.

Auf Platz 1: E-Vergabe

Zwei Gesetze sorgten bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus dafür, dass die öffentliche Verwaltung digitalisiert wird: das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz), seit August 2013 in Kraft, inklusive eigener E-Government-Gesetze der Bundesländer sowie das Onlinezugangsgesetz (OZG), seit 2017 in Kraft. Mit der Umsetzung beider Gesetze kommen die Verantwortlichen bei Bund, Ländern und Kommunen unterschiedlich voran.

Am weitesten ist öffentliche Verwaltung bei der elektronischen Vergabe öffentlicher Aufträge: In 60 Prozent der Behörden ist die Abwicklung von Ausschreibungen über spezielle Vergabeplattformen möglich. Jede vierte Verwaltungseinrichtung hat das Vergabeverfahren zumindest in Teilen digitalisiert. Vorgaben für den Datenschutz und die IT-Sicherheit haben 48 Prozent der Behörden vollständig und 47 Prozent teilweise umgesetzt. Das Thema Cybersicherheit hat für nahezu alle Behörden Priorität.

Nachholbedarf gibt es bei Vorgaben, die für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen besonders attraktiv sind. Dazu gehört, sich im Internet bei Behörden zu identifizieren (eID) und Leistungen direkt online zu bezahlen. Acht Prozent der befragten Behörden haben ihre Hausaufgaben weitgehend erledigt und bieten eine eID an. 30 Prozent befinden sich in der Umsetzung.

Etwas weiter ist die öffentliche Verwaltung bei Bezahlangeboten und der E-Rechnung. Jede fünfte Behörde (22 %) meldet hier Vollzug, 44 Prozent arbeiten an derartigen Lösungen. Bei der Verarbeitung von E-Rechnungen drängt die Zeit: Das E-Rechnungs-Gesetz verlangt, dass Unternehmen ihre Rechnung an öffentliche Auftraggeber ab November 2020 in digitaler Form stellen.

OZG-Halbzeit: viele Prototypen, wenige flächendeckende Angebote

Die Umsetzung des OZG kommt langsam voran. 77 Prozent der befragten Behörden berichten von Online-Verwaltungsangeboten, die aber nur ansatzweise fertig sind. Bei 16 Prozent sind OZG-Leistungen komplett fertig oder weitgehend entwickelt.

„Neben den technischen Aspekten fordert die Verwaltungen auch ein notwendiges kulturelles Umdenken. Es geht schließlich nicht darum, dass Verwaltung auf eine Website umzieht“, sagt Ulf Glöckner, Senior Manager Public Sector bei Sopra Steria und Experte für Change Management. „Dienstleistungen müssen aus Nutzersicht neu gedacht und dann digital in der Form angeboten werden, wie es Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen vom Interneteinkauf gewohnt sind. Dieser kulturelle Wandel braucht länger als die Einführung einer App und muss effektiv gemanagt werden“, so Glöckner.

Eine Voraussetzung für bürgerorientierte Verwaltungsdienste sind rechtssichere Bürger- und Servicekonten. 41 Prozent richten diese gerade ein. Über sie können Bürger und Unternehmen künftig Angebote unterschiedlicher Verwaltungen nutzen, in Bayern beispielsweise mit der BayernID. Bei 14 Prozent der befragten Behörden sind diese Arbeiten weitgehend abgeschlossen. Kommunen wie die Stadt München sind hier weiter als Bund und Länder.

Mehr Zusammenarbeit und Bürgernähe gefragt

Ein Ansatz für schnellere E-Government-Fortschritte ist eine intensive übergreifende Zusammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen. OZG-Verwaltungsdienstleistungen werden deutschlandweit in Digitalisierungslaboren einzelner Verwaltungen entwickelt. Erfüllen diese Pilotprojekte die rechtlichen Vorgaben, können andere Behörden diese Dienste übernehmen.

Ein Beispiel ist ELFE (Einfach Leistungen für Eltern) der Stadt Bremen. Ziel ist, alle Verwaltungsverfahren rund um die Geburt eines Kindes in einem bürgernahen Online-Verfahren zu bündeln, von der Anmeldung beim Standesamt bis zum Kindergeld. Dafür müssen nicht nur Prozesse digitalisiert und Webseiten programmiert, sondern in diesem Fall 17 Gesetze angepasst werden.

„Das Beispiel ist kein Einzelfall. Es zeigt, wie komplex die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist und wie wichtig der enge Austausch und die Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind“, sagt Baptist. „Zudem sollten die Verantwortlichen aller Ebenen die Einführung neuer Dienstleistungen noch stärker mit mehr Werbung und Erklärformaten begleiten und Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in den Entwicklungsprozess einbinden.“

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