Mehr als 60.000 Zugriffe auf eine virtuelle Infrastruktur verzeichnete TÜV SÜD in der achtmonatigen Laufzeit eines Honeynet-Projekts. Das Honeynet kombinierte reale Hardware und Software mit einer simulierten Umgebung eines kleineren Wasserwerks. Die Zugriffe erfolgten von Servern aus der ganzen Welt und teilweise unter verschleierten IP-Adressen.
„Ein Honeynet ist ein System, das Angreifer anlocken und die Analyse der Zugriffs- und Angriffsaktionen ermöglichen soll“, erklärt Dr. Armin Pfoh, Vice President im Bereich Strategie & Innovation von TÜV SÜD. Für das aktuelle Projekt hatte TÜV SÜD ein Wasserwerk in einer deutschen Kleinstadt simuliert. „Zu diesem Zweck haben wir ein sogenanntes High-Interaction-Honeynet eingerichtet, das reale Hardware und Software mit einer simulierten Umgebung kombinierte“, so Dr. Pfoh. Die Sicherheitsvorkehrungen entsprachen dem industrieüblichen Niveau. Den praxisnahen Aufbau des Systems und die Sicherheitsvorkehrungen haben die TÜV SÜD-Experten zusammen mit Vertretern der Versorgungswirtschaft entwickelt und umgesetzt.
Selbst unbedeutende Infrastrukturen werden wahrgenommen
Das Honeynet war insgesamt acht Monate im Netz. Der erste Zugriff sei fast zeitgleich mit dem „Scharfschalten“ erfolgt. Während der Laufzeit verzeichneten die TÜV SÜD-Experten über 60.000 Zugriffe aus mehr als 150 Ländern. „Damit konnten wir nachweisen, dass selbst eine relativ unbedeutende Infrastruktur im Netz wahrgenommen und ausgeforscht wird“, sagt Dr. Thomas Störtkuhl, Senior Security Experte und Teamleiter Industrial IT Security bei TÜV SÜD. Die Top-3-Zugriffsländer nach IP-Adresse waren China, die USA und Südkorea, wobei die IP-Adressen allerdings keine belastungsfähige Aussage über den tatsächlichen Standort des Zugreifenden ermöglichten. Zudem seien die Zugriffe zum Teil über verdeckte bzw. verschleierte IP-Adressen erfolgt.
Interessant war auch die Erkenntnis, dass die Zugriffe nicht nur über Standardprotokolle der Büro-IT, sondern auch über Industrieprotokolle wie Modbus TCP oder S7Comm erfolgten. „Die Zugriffe über Industrieprotokolle waren zwar deutlich seltener, kamen aber ebenfalls aus der ganzen Welt“, erklärt Dr. Störtkuhl. Damit ist für den Sicherheitsexperten klar, dass Lücken in der Sicherheitsarchitektur von Steuerungsanlagen entdeckt werden und dass die Systeme für einen möglichen Angriff anfällig sind. Das kann entweder ein genereller Angriff auf bestimmte Strukturen und Devices oder ein gezielter Angriff auf ein ausgewähltes System sein.
Deutliches Warnsignal für Unternehmen
Die Ergebnisse des Honeynet-Projekts sind ein deutliches Warnsignal – nicht nur für die Betreiber von Infrastrukturen, sondern auch für produzierende Unternehmen. „Auch kleine oder unbekannte Firmen werden entdeckt oder gesehen, weil ständig Ausspäh-Aktionen im Internet laufen“, betont Dr. Störtkuhl. Damit können diese Firmen zu Opfern einer Angriffswelle werden, auch wenn sie nicht gezielt ausgesucht wurden. „Wenn Unternehmen durch Ausspäh-Aktionen erst einmal auf den Monitor von potenziellen Angreifern geraten sind“, so der Sicherheitsexperte, „wird dadurch auch ein gezielter Angriff zu einem späteren Zeitpunkt erleichtert.“ Das zeigen auch die Angriffsversuche auf das Honeynet von TÜV SÜD, die über unterschiedliche Protokolle erfolgten. Dabei handelte es sich zum einen um eine weltweite Denial-of-Service-Attacke und zum anderen um zwei gezielte Angriffsversuche über zwei unterschiedliche Industrieprotokolle.
Monitoring ist Basis für die Entwicklung von Schutzmaßnahmen
Die wichtigsten Botschaften aus dem Honeynet-Projekt von TÜV SÜD: Infrastrukturen und Produktionsstätten werden kontinuierlich ausgeforscht. Das gilt selbst für ein relativ unbedeutendes Wasserwerk in einer deutschen Kleinstadt. Aus Zugriffen können Angriffe werden, die ein hohes Schadenspotenzial haben – von der Ausspähung von Betriebsgeheimnissen bis zur Sabotage einer kompletten Infrastruktur. Ohne die Anpassung ihrer Sicherheitsvorkehrungen fahren Unternehmen und Betreiber von Infrastrukturen ein hohes Risiko. Ein gezieltes Monitoring ist Voraussetzung dafür, dass Unternehmen ihre Gefährdungslage realistisch einschätzen und wirkungsvolle Schutzmaßnahmen entwickeln können. Nach den Erfahrungen aus dem Honeynet-Projekt muss das Monitoring zwingend auch Industrieprotokolle erfassen, weil potenzielle Angreifer diese Protokolle kennen und nutzen.