Deutsche Stadtwerke bereiten sich auf starke Veränderungen ihrer Geschäftsmodelle in den kommenden Jahren vor. Dabei soll der Kunde noch stärker in den Fokus rücken: Im Hinblick sowohl auf das Innovationspotenzial als auch auf die Erfolgsaussichten stufen die Manager Maßnahmen zur Verbesserung von Kundenbetreuung und -bindung am höchsten ein.
Neben der Kundenbindung und -betreuung rangieren auch neue Produkte und Services ganz oben auf der Skala. Großes Innovationspotenzial sehen 73 Prozent der Unternehmensleiter zudem bei neuen Speichertechnologien (hier ist mehr als ein Drittel der Versorger aktiv), allerdings werden die Erfolgsaussichten eher vorsichtig eingeschätzt.
Als größtes Hemmnis bei der Umsetzung neuer Geschäftsmodelle sehen 74 Prozent der befragten Stadtwerke-Manager die zunehmenden regulatorischen Vorgaben auf den Energiemärkten.
Die Stadtwerke wollen zudem vermehrt mit anderen Unternehmen und Institutionen kooperieren. 68 Prozent der Manager halten eine Kooperationsstrategie für erfolgversprechend beziehungsweise sogar sehr erfolgversprechend. Fast zwei Drittel (63 Prozent) erwarten sich durch solche Zusammenarbeiten neue Innovationen.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Stadtwerke-Studie 2015 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) und des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft mit dem Titel „Gewohnte Wege verlassen – Innovation in der Energiewirtschaft“. Daran beteiligt waren 100 deutsche Versorgungsunternehmen aller Größenordnungen. Befragt wurden deren Vorstände und Geschäftsführer.
Die Vorhersage des Verbrauchs wird immer schwieriger
Helmut Edelmann, Director Utilities bei EY und Autor der Studie, kommentiert: „Die Zeit drängt. Die Einnahmen in den klassischen Geschäftsfeldern schrumpfen und der Wettbewerb wird größer. Sowohl etablierte als auch neue Wettbewerber verschärfen die Gangart im Markt. Digitale Technologien gewinnen an Boden. Damit verändern sich Strukturen und Geschäftsprozesse. Dass die Einbußen auf der Einnahmeseite nur durch den Auf- und Ausbau neuer, junger Geschäftsfelder zu kompensieren sind, diese Erkenntnis hat sich schon auf breiter Front durchgesetzt.“
„Die sich ständig verändernden politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen erschweren den Stadtwerken Investitionen in neue Geschäftsfelder.“, so Hildegard Müller, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Es gilt trotzdem: Ein ‚Weitermachen wie bisher‘ wird auf Dauer nicht möglich sein. Nur diejenigen Unternehmen, die sich über neue Geschäftsmodelle, über Kooperationen und auch Auslagerungen von Tätigkeiten Gedanken machen, werden Treiber und nicht Getriebene ihrer unternehmerischen Entwicklung sein. Trends wie die Digitalisierung und eine dezentralere Energieerzeugung werden neue Kundenanforderungen und ein neues Verhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmen nach sich ziehen.“
Edelmann ergänzt: „Ebenfalls immer schwieriger wird die Vorhersage des Verbrauchs. Im Bereich der Kleinabnehmer sorgen flexible Arbeitszeitmodelle, Home Offices und veränderte soziodemografische Strukturen dafür, dass der Anteil des klassischen Haushaltstyps mit einem berechenbaren Standardlastgang zurückgeht. Veränderungen ergeben sich auch bei den industriellen Abnehmern. Die zunehmende Eigenstromversorgung und nutzung und die Entwicklung neuer, leistungsfähiger Speichersysteme erhöhen ebenfalls die Unsicherheit. Um all diese Schwankungen zu kompensieren, brauchen die Stadtwerke in Zukunft eine höhere Flexibilität – nicht zuletzt in der technischen Ausstattung.“
Innovationskultur im Unternehmen stärken
Zentral für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder ist die weitere Stärkung der Innovationskultur in den Unternehmen. Zwar geben 60 Prozent der Befragten an, dass das Topmanagement Innovationen unterstütze – eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr, in dem erst 48 Prozent der Vorstände und Geschäftsführer diese Unterstützung branchenweit sahen. Doch die Existenz einer Innovationskultur kann nur jeder Dritte beobachten, und nur 30 Prozent erkennen eine ausgeprägte Innovationsstrategie in der gesamten Branche.
Die Beschreibung der Strukturen innerhalb des eigenen Unternehmens ergibt ein ähnliches Bild. Mehr als die Hälfte der befragten Stadtwerke hat keinen eigenen für Innovationen verantwortlichen Bereich. Bei gut einem Viertel liegt die Zuständigkeit zwar direkt bei der Unternehmensleitung, fraglich ist aber, wie viel Kapazität den Führungsspitzen bleibt, um diese Aufgabe mit der notwendigen Intensität wahrnehmen zu können. 61 Prozent der Stadtwerke und EVU verfügen über keine spezifischen Methoden zum Innovationsmanagement.
Nach wie vor dominieren nach Meinung der befragten Manager operative und eher kurzfristige Themen die Agenden in den nächsten zwei bis drei Jahren. Ganz oben stehen die Optimierung der Geschäftsprozesse, Absatz, Marketing und Kundenbetreuung sowie die Umsetzung IT-gestützter Prozesse.
Etwas weiter unten stehen Themen, die sich unmittelbar aus der Umsetzung der Energiewende ergeben, darunter der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Steigerung der Energieeffizienz. Zudem messen nur 37 Prozent der Befragten dem intelligenten Netz („Smart Metering/Smart Grids/Netzintegration“) eine hohe bis hohe starke Bedeutung zu.
Wenig wirtschaftliche Erfolgserwartungen an Smart Grids und Smart Metering
Das dürfte an den geringen wirtschaftlichen Erfolgserwartungen liegen: Nur jedes vierte Unternehmen stuft den intelligenten Netzausbau als erfolgversprechendes Geschäftsfeld der Zukunft ein. Auch dem Smart Metering, der intelligenten Verbrauchserfassung, attestieren nur 24 Prozent Erfolgsaussichten.
Ähnlich sind übrigens auch die Erwartungen an das aktuelle Thema Elektromobilität. Jedes zweite Unternehmen ist in diesem Bereich aktiv, doch nur jedes sechste rechnet sich nennenswerte Erfolge in diesem Geschäftsfeld aus. Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass digitale Technologien in den kommenden fünf Jahren signifikant an Bedeutung für die Geschäftsmodelle der Versorger gewinnen werden.
Edelmann hält zum Abschluss fest: „Jetzt sind Kreativität und Fokussierung gefragt. Die Stadtwerke sollten sich auf wenige Bereiche konzentrieren, weil sie sonst Gefahr laufen, vieles zu machen, aber nichts davon richtig. Nur eine Strategie erscheint wenig erfolgversprechend: abwarten und an den alten Strukturen festhalten. Die Innovationskultur muss in den Stadtwerken fest etabliert und vom Topmanagement bis zu jedem einzelnen Mitarbeiter gelebt werden.“