Die Zukunft der europäischen Eisenbahnindustrie liegt in einem integrierten, digitalisierten Streckennetz und der Nutzung von vernetzten Zügen. Diese Zukunft erfordert jedoch die Zusammenarbeit und Koordination aller Beteiligten. So ein Fazit einer internationalen Umfrage der Management- und Technologieberatung BearingPoint zum Thema Connected Train.
Laut der Umfrage sehen alle Teilnehmer einen stetig wachsenden Einfluss der Digitalisierung, jedoch je nach Funktion oder Geschäftsbereich in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Digitalisierung schreite zwar im Eisenbahnsektor voran, noch sei es aber zu früh, um große Erfolge feiern zu können. Die Umfrage, die in zehn europäischen Ländern erhoben wurde, liefert folgende Kernaussagen:
- Für die europäische Eisenbahnindustrie stellt die Digitalisierung eine der letzten Chancen dar, um mit anderen Verkehrsträgern wie Low-Cost-Fluggesellschaften, Fernbussen und autonomen PKW/LKW konkurrieren zu können.
- Die Branche ist sich der Vorteile der Digitalisierung bewusst: Mehr als 85 Prozent der Studienteilnehmer sehen Anwendungsrelevanz in allen Hauptgeschäftsbereichen, wie Personen- und Güterverkehr, Infrastruktur und Wartung.
- Die Digitalisierung von Wartungs- und Beschaffungsabläufen spielt zurzeit noch eine untergeordnete Rolle, jedoch werden in den nächsten fünf Jahren in diesem Bereich die stärksten Wachstumspotenziale (bis zu 30 %) erwartet.
- Als treibende Kraft für die Digitalisierung dominieren eher qualitative Faktoren. Nicht-monetäre Ziele wie Servicequalität (90 Prozent) und Strategieentwicklung (78 %) bewertet die Eisenbahnbranche als vorrangiger im Vergleich zu Kostensenkungen (74 %) und Umsatzsteigerungen (60 %). Das überrascht, wenn man bedenkt, dass die Industrie unter einem hohen Ertragsdruck steht.
- Als Hemmfaktoren, die einer erfolgreichen Digitalisierung der Eisenbahnen zurzeit noch im Weg stehen, treten zwei besonders hervor. Zum einen stellt die Durchdringung der neuen Technologien in die bestehenden Betriebsabläufe und Anlagen (Fahrzeuge und Schienennetz) ein Hindernis dar (78 %). Weiterhin wird die fehlende Verfügbarkeit von Big Data in einer heterogenen Prozess- und IT-Umgebung bemängelt (77 %).
- Die Zusammenarbeit mit externen Partnern wird als kritischer Erfolgsfaktor für die Implementierung neuer, digitaler Anwendungsfälle gesehen. Dieses Ergebnis spiegelt die engen Wechselbeziehungen zwischen den wichtigsten Akteuren des Eisenbahnsektors wider.
Führungskräfte diskutierten über die Digitalisierung in ihrer Branche
Während eines Roundtables bei der Vorstellung der Studie diskutierten die Teilnehmer ihre Ansichten zur Digitalisierung in der Eisenbahnindustrie.
Josef Doppelbauer, Geschäftsführer der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA), äußerte sich zu den Hindernissen des sehr fragmentierten Marktes: „Der Schlüssel zur Digitalisierung des Schienenverkehrs in Europa ist die Interoperabilität – deshalb müssen wir Standardisierungen und koordinierte Innovationen in der Branche weiter vorantreiben.“
Christopher L. Crawford, Leiter Innovation & Knowledge Management bei Bombardier, wies auf die neuen Geschäftsmöglichkeiten hin: „Die Digitalisierung der physischen Welt eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten. Das erfordert jedoch Investitionen in Ressourcen, um die Potentiale der neuen Geschäftsmodelle auch wirtschaftlich darstellen zu können.“
Die digitalen Technologien fördern die Effizienz- und Qualitätssteigerung. Zudem müssen aber auch andere Investitionsaspekte berücksichtigt werden, um faire und vorteilhafte Bedingungen für alle Beteiligten gewährleisten zu können. „Die Digitalisierung verlangt nach einem gemeinsamen Ansatz, der alle Phasen des Lebenszyklus abdeckt“, so Pierre-Etienne Gautier, Chief Innovation Officer von Systra.
In Bezug auf die Vorteile der Digitalisierung für den Zugbetrieb, argumentiert Gerhard Kreß, Director für Mobility Data Services bei Siemens, dass „die digitalisierte, vorausschauende Instandhaltung, überwacht und ausgelöst durch Sensoren, zu einem messbaren Anstieg von Zug-Verfügbarkeiten führen wird.“ In Bezug auf die datengesteuerten Strategien der Eisenbahnen, fügte Prof. Michael Benz, Leiter SCM@ISM der International School of Management, hinzu: „Wem die Daten gehören, dem gehört auch das Geschäft.“
Ralf Stenger, Director bei BearingPoint, fasst zusammen: „Die Studienergebnisse veranschaulichen die große Erwartungshaltung der Eisenbahnindustrie hinsichtlich der Digitalisierung. Aber Wirtschaftlichkeit und erfolgversprechende Ansätze sind noch umstritten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im ganzheitlichen Blick auf das digitale Ökosystem Bahn.“