Die Digitalisierung lässt jeden zweiten Unternehmer Konkurrenz aus fremden Branchen befürchten – aber jeder dritte plant bereits selbst einen Angriff. „Jeder weiß: Die Digitalisierung wird die Art, wie wir produzieren, verkaufen und mit Kunden kommunizieren grundsätzlich verändern – aber keiner weiß genau wie“, sagt A.T. Kearney Zentraleuropachef Dr. Martin Sonnenschein im Vorfeld der Hannover Messe zur neuesten Publikation der Managementberatung. „Wir haben deshalb analysiert, worauf sich Industrien, Unternehmen und das Top-Management einstellen müssen.“
In „Ändern oder untergehen – eine Begegnung mit der Wertschöpfung von morgen“ will A.T. Kearney wissen: Worauf muss sich der Industriestandort Deutschland einstellen? Zusammen mit dem Institut für Demoskopie Allensbach hat die Unternehmensberatung rund 100 Top-Entscheider aus der Automobil-, Maschinenbau- und Elektroindustrie befragt. Hinzu kommt Empirie aus eigenen Wettbewerben wie „Die Fabrik des Jahres“ und „Best Innovator“.
Warnung vor „mangelnder Paranoia“
„Die Hälfte der Unternehmen fühlt sich vom digitalen Wandel in ihrer Existenz bedroht“, resümiert Dr. Marc Lakner, Partner und Produktions- und Logistikexperte bei A.T. Kearney, die Umfrageergebnisse. „Viele haben Angst, dass sich ganze Industrien auflösen werden, weil schnelle und findige Wettbewerber aus anderen Branchen bisherige Wertschöpfungsmodelle überflüssig machen könnten.“ Bekannte Beispiele seien der Suchmaschinenbetreiber Google, der am Auto der Zukunft forscht oder der Vermittlungsdienst Uber, der ohne ein einziges eigenes Auto Taxiunternehmen weltweit das Wasser abgräbt.
Mehr Mut an der Spitze deutscher Unternehmen fordert daher ein Kommentar von Egon Zehnder Deutschland-Chef Dr. Michael Ensser, der sich in der Publikationsserie über die Zukunft Deutschlands Gedanken über das notwendige Profil zukünftiger Manager macht. Gleichzeitig warnt Infineon-Chef Dr. Rainer Ploss vor „mangelnder Paranoia“ in so mancher Branche.
Mit der Publikation „Ändern oder untergehen“ möchte A.T. Kearney so ein aktuelles Stimmungsbild über das zurzeit für viele Firmen beunruhigendste Thema wiedergeben: Die Auflösung von Branchen- und Industriegrenzen durch die Digitalisierung – aber auch die Chancen, die sich daraus ergeben.
Kooperation als Gegenmittel
„Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei“, so Alexander Rathfelder, A.T. Kearney Experte für Wertschöpfung und verantwortlicher Manager für die Publikation. „Wer in Zukunft überleben will, schafft es nur im Verbund.“ Über Erfolg oder Misserfolg entscheide bald nicht mehr, wie potent ein Unternehmen, sondern wie stark sein Netzwerk ist: Kooperation über Branchen- und Unternehmensgrenzen hinweg sei daher das wohl wirksamste Gegenmittel gegen das Aussterben.
„In vielen Unternehmen wird trotzdem das Licht ausgehen“, so Produktions- und Logistikexperte Lakner. Ob das gut oder schlecht sei, komme darauf an, ob Produzenten es schaffen würden, den Betrieb über Automatisierung oder andere Produktionsformen auch im Dunkeln – also mit weniger Personal in der Fertigung – weiter wettbewerbsfähig zu halten: Rund 40 Prozent der Berufe – das entspricht 2,7 Millionen Menschen – seien von der Computerisierung potentiell bedroht. „Die Digitalisierung wird vor keiner Fabrik und keinem Geschäftsmodell Halt machen“, betont Lakner.
Trotzdem sähen mehr als 80 Prozent der befragten Unternehmen mehr Chancen als Risiken – und planten sogar selbst den Frontalangriff: Jedes dritte Unternehmen will demzufolge schon innerhalb der nächsten fünf Jahre in neuen Industrien aktiv werden. Genauso viele wollen in den nächsten zwei bis drei Jahren Produktionskapazitäten in Deutschland aufbauen. An Abbau würde dagegen nur jedes zehnte Unternehmen denken.
„Wenn die Unternehmer sich in aller Radikalität mutig auf die Zukunft einstellen, können sie gewinnen“, resümiert Sonnenschein die Studie. „Unternehmerische Verantwortung für die Zukunft des Standortes Deutschland zu übernehmen – das heißt in unseren Zeiten: Wir müssen gänzlich Neues wagen.“