Vernetzte Mobilität ist das große Zukunftsthema der Automobilbranche. OEM bieten heute bereits verschiedene im Fahrzeug integrierte Lösungen an, die allerdings oft an den eigentlichen Kundenbedürfnissen vorbeigehen und aufgrund hoher Forschungs- und Entwicklungskosten sehr teuer sind. So setzen sich vernetze Lösungen im Fahrzeugbestand nur langsam durch – vor allem im Volumensegment. Daher drängen immer mehr branchenfremde Anbieter wie IT- und Versicherungskonzerne, Zulieferer und Startups in den Markt und bieten kostengünstige Adapter (Dongle) als Nachrüstlösungen an, die einfach und schnell im Fahrzeug angeschlossen und beispielsweise mit Smartphones verbunden werden können.
In ihrer neuen Studie „Connected Car – App based dongle solutions as shortcut towards connectivity“ erläutern die Experten von Roland Berger, was Automobilhersteller und Anbieter aus anderen Branchen tun müssen, um künftig mit vernetzter Mobilität profitabel wachsen zu können.
„Ein Dongle wird einfach auf die standardisierte Schnittstelle für die Fahrzeugdiagnose (OBD II) gesteckt. Diesen Anschluss besitzen heute schon fast 94 Prozent aller Fahrzeuge in Deutschland“, erklärt Jan-Philipp Hasenberg, Partner von Roland Berger. Und App-basierte Dongle-Lösungen, die Fahrzeugdaten für verschiedene Services an ein Smartphone senden, sind für viele Autofahrer mittlerweile schon ein ständiger Begleiter. 2016 gibt es in Deutschland erstmals mehr Smartphone-Nutzer (47 Millionen) als Autos auf der Straße (45 Millionen). Das Potenzial von App-basierten Dongle-Lösungen für die Fahrzeug-Fahrer-Kommunikation ist also sehr groß.
Bis 2020 europaweit 90 Millionen Dongle im Einsatz
„Wir erwarten, dass bis 2020 in ganz Europa mehr als 90 Millionen Autos über Nachrüstlösungen verfügen werden“, sagt Philipp Grosse Kleimann, Partner von Roland Berger. „Dagegen werden nur etwa 70 Millionen Fahrzeuge mit integrierten Systemen ab Werk ausgestattet sein.
Bereits jetzt hinken die Automobilhersteller bei der Vernetzung ihrer Fahrzeuge hinterher. Obwohl Kunden einen hohen Mehrwert in online-basierten Anwendungen sehen, war 2015 gerade mal ein Drittel der Neuwagen mit entsprechenden integrierten Lösungen ausgestattet. Laut den Ergebnissen der Roland Berger-Studie sind über 80 Prozent der Autofahrer bereit, einen Aufpreis für zusätzliche Dienstleistungen wie Parkplatzsuche, Fahrzeugfinder oder automatischen Notruf zu zahlen. Allerdings liegt die Zahlungsbereitschaft der Kunden gerade mal bei rund 50 Euro pro Jahr.
„Die Hersteller verlangen zum Teil mehrere Tausend Euro für die Vernetzung des Fahrzeugs ab Werk, dazu kommt noch die jährliche Nutzungsgebühr“, sagt Jan-Philipp Hasenberg. „Das ist weit mehr, als die Autofahrer heute bereit sind zu bezahlen.“ Aber Dongle-Anbieter aus anderen Branchen bieten ihre Adapter für unter 100 Euro an – mit ähnlich komfortablen Lösungen und Services.
Automobilhersteller brauchen eigene Dongle-Lösung
„Viele Marktteilnehmer versuchen schon heute, sich über die Nachrüstlösungen an die Kundenschnittstelle zu setzen“, erklärt Grosse Kleimann. „So können Versicherungskunden gesteuert und Autofahrer auf einen Servicebedarf ihres Fahrzeugs gezielt aufmerksam gemacht werden.“
Die Automobilhersteller müssen daher schnell reagieren und ihre Denkweise verändern, wenn sie nicht den Anschluss verlieren wollen. Denn: „Mittelfristig werden sich die Anbieter auf dem Markt durchsetzen, die mehr Kunden für ihre Konnektivitätslösung überzeugen konnten“, so Grosse Kleimann. „Erreicht ein Anbieter die kritische Masse, wird sich ein Lock-in-Effekt einstellen und das System so zum Marktstandard werden. Doch noch ist völlig offen, aus welcher Branche diese Anbieter kommen werden.“
Automobilhersteller und Anbieter von Dongle-Lösungen: zwei unterschiedliche Strategien
Für Automobilhersteller und branchenfremde Anbieter von Dongle-Lösungen empfehlen die Experten von Roland Berger daher unterschiedliche Strategien.
- Automobilhersteller: Um eine schnellere Marktdurchdringung zu erreichen, sollten sich OEM überlegen, ob sie allein die kritische Masse erreichen können oder ob Partnerschaften notwendig sind, um gemeinsam eine eigene Nachrüstlösung zu entwickeln. So können sie ihre Kundenbasis erweitern; dank neuer Kundendaten können sie außerdem weitere Produkte und Dienstleistungen anbieten, die den Kundenwünschen besser entsprechen. „Nur wenn die Hersteller die App-basierten Dongle-Lösungen als Zwischenlösung zum vernetzten Fahrzeug verstehen und nutzen, lässt sich damit langfristig ein eigenes geschlossenes Ökosystem auf dem Markt durchsetzen“, erklärt Jan-Philipp Hasenberg.
- Drittanbieter: IT- und Versicherungskonzerne, Zulieferer und Startups sollten auf branchenübergreifende Kooperationen setzen. Mithilfe einer offenen Plattform für neue digitale Technologien können Innovationen so zügiger und kosteneffizienter umgesetzt werden. Der Fokus sollte auf App-basierten Dongle-Lösungen liegen, da sie durch die einfache Verfüg- und Bedienbarkeit für Kunden in allen Preissegmenten interessant sind. Für Drittanbieter ist es wichtig, dass ihre Lösungen durch das richtige Serviceangebot zum Standard für Endkunden werden.
Sowohl OEM als auch Drittanbieter können das offene Rennen um die profitable Vernetzung von Fahrzeugen für sich entscheiden. „Wenn es den branchenfremden Anbietern gelingt, ein standardisiertes Datenformat und eine einheitliche und branchenübergreifende Plattform zu etablieren, stehen ihre Chancen sehr gut“, so Grosse Kleimann. „Ansonsten werden Automobilhersteller diesen Markt beherrschen. Allerdings sollten die Marktteilnehmer auch bedenken, dass der Kunde nicht immer an eine einzige Marke gebunden ist.“