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eco-Rückblick: Internet-Skepsis dominiert Digitalpolitik

Fake News, Hatespeech, Social Bots, Cyberangriffe und immer wieder Big Data – das sind nur einige der Schlagworte, die die netzpolitischen Debatten in diesem Jahr in der öffentlichen Wahrnehmung geprägt haben. Doch was hat sich in 2016 im Bereich Internet- und Digitalpolitik konkret getan? eco – Verband der Internetwirtschaft zieht Bilanz und wirft einen Blick auf die fünf wichtigsten digitalpolitischen Entwicklungen und Entscheidungen der letzten zwölf Monate. Dabei ergibt sich insgesamt ein ambivalentes Gesamtbild aus restriktiven Ansätzen im Bereich Cybersicherheit und zukunftsweisenden Vorstößen beispielsweise im Bereich digitale Bildung und Arbeiten 4.0.

„Es herrscht eine große Verunsicherung in Gesellschaft und Politik, die sich leider allzu häufig in einer massiven Internet-Skepsis manifestiert, der die Überzeugung zugrunde liegt, das Internet sei in gewisser Weise der größte Unsicherheitsfaktor unserer Zeit“, sagt eco Vorstand Politik & Recht Oliver Süme. Dies habe auch damit zu tun, dass netzpolitische Debatten aktuell stark von innenpolitischen Erwägungen bestimmt würden.

„In der Politik mündet diese Verunsicherung in einer Tendenz zu immer drastischeren Regulierungs- und Überwachungsbestrebungen. Ich plädiere hier für mehr Augenmaß und eine sorgfältige Chancen-Risiken Abwägung. Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für die Wirtschaft und für die Gesellschaft, die wesentlich auf den Grundprinzipien der Offenheit und Freiheit im Internet basieren. Eine zukunftsgerichtete Digitalpolitik sollte Rahmenbedingungen dafür schaffen, die Chancen der Digitalisierung in unternehmerisches Handeln zum Wohle aller umzusetzen. Absolute Kontrolle gibt es weder im noch außerhalb des Internets und sollte daher auch nicht zum Credo der Digitalpolitik werden.“ Positive Ansätze sieht Süme in den in diesem Jahr vorgestellten zukunftsweisenden Konzepten im Bereich digitale Bildung und Arbeit sowie in der Abschaffung der WLAN-Störerhaftung.

Rückblick: Die fünf wichtigsten digitalpolitischen Entwicklungen in 2016

  • Staatliche Überwachung

Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ist eines der unpopulärsten netzpolitischen Vorhaben bereits im Dezember vergangenen Jahres in Kraft getreten, blieb aber auch 2016 vieldiskutiertes Thema. Viele rechtliche Fragen sind nach wie vor heftig umstritten und es laufen verschiedene Klagen gegen das Gesetz. Neben den bereits beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängigen Verfassungsbeschwerden ist unter anderem eine Klage des Unternehmens SpaceNet AG vor dem Verwaltungsgericht in Köln eingereicht, die eco mit unterstützt. Neben der Verletzung von Bürgerrechten greift das Instrument auch in die grundrechtlich garantierten Freiheiten der Unternehmen ein. Der im Oktober 2016 veröffentlichte Anforderungskatalog der Bundesnetzagentur stellt außerdem unrealistisch hohe Anforderungen an die erforderlichen Maßnahmen zum Datenschutz und zur Datensicherheit. Die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung wird damit für Unternehmen voraussichtlich deutlich teurer und aufwändiger als bisher erwartet. Für kleinere und mittlere Betriebe könnten die vorgesehenen Regeln existenzgefährdend sein. Das neue Gesetz ist kaum in Kraft, da werden schon Forderungen nach einer Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung laut, unter anderem durch die Landesinnenministerkonferenz im Dezember 2016, die künftig auch Messengerdienste und andere Internetdienste in das Gesetz mit einbeziehen will.

Ein weiterer Schritt zu mehr staatlicher Überwachung ist das im Oktober 2016 beschlossene BND-Gesetz, das dem Bundesnachrichtendienst faktisch eine Ermächtigungsgrundlage für eine massenhafte Überwachung im In- und Ausland erteilt. Die im Nachhinein vorgesehene Kontrolle durch ein neues, unabhängiges Gremium geht aus Sicht von eco vollständig ins Leere, da sie weder Umfang noch konkrete Maßnahmen der Erfassung betrifft.

  • Cybersicherheit

Im Juli 2016 haben die EU-Mitgliedstaaten mit der sogenannten Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit (NIS-Richtlinie) die ersten EU-weiten Vorschriften für Cybersicherheit beschlossen. Die NIS-RL setzt die Maßstäbe für die Absicherung sowohl des Betriebs kritischer Infrastrukturen und digitaler Dienste wie e-Commerce-Plattformen, Suchmaschinen und Cloudanbieter. Sie regelt, welche Bereiche als kritisch einzustufen sind und formuliert Melde- und Informationspflichten für die Mitgliedsstaaten über Hackerangriffe und andere sicherheitsrelevante Vorfälle. Ein entsprechendes Umsetzungsgesetz in Deutschland wird derzeit vom Bundesinnenministerium erarbeitet.

Parallel dazu hat das Bundeskabinett im November 2016 eine Cybersicherheitsstrategie verabschiedet, die unter anderem vorsieht, das nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) als Krisenzentrum auszubauen Außerdem soll der 2011 eingerichtete nationale Cyber-Sicherheitsrat verstärkt eingebunden werden. Sowohl im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wie in der Bundeswehr sollen „Mobile Incident Response Teams“ (MIRTs) aufgestellt werden. Außerdem soll die neue Behörde ZITIS starten, die unter anderem dafür zuständig sein wird, Verschlüsselung unter anderem von Messenger-Diensten wie Whatsapp oder Telegram zu knacken. eco kritisiert die in der Strategie angekündigten Haftungsregime sowie die inkonsistenten Formulierungen hinsichtlich des Themas Verschlüsselung.

Auf europäischer Ebene wurde 2016 außerdem als Reaktion auf die Anschläge von Paris im November 2015 eine gemeinsame Anti-Terror Richtlinie vorangetrieben, die es Mitgliedstaaten ermöglichen soll, unter bestimmten Voraussetzungen Internetseiten zu sperren. Konkret räumt ihnen die Richtlinie das Recht ein, Maßnahmen zu ergreifen, um illegale Inhalte, die „öffentlich zu terroristischen Straftaten anstiften“, zeitnah zu entfernen – oder, wenn das nicht möglich ist, den Zugang zu solchen Inhalten zu blockieren.

eco kritisiert den Aufbau einer Infrastruktur zur Sperrung und Filterung von Internetinhalten als kontraproduktiv für die Bekämpfung illegaler Inhalte und deren Löschung. Stattdessen sollten die europaweite und internationale Kooperation der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden gefördert und die Löschung von strafbaren Inhalten vorangetrieben werden. Aktuell wird die Richtlinie im Trilog zwischen Parlament, Kommission und Europäischem Rat ausverhandelt.

Auch die deutsche Bundesregierung hat im Juni 2016 ein eigenes Anti-Terror-Paket beschlossen. Es sieht unter anderem eine Identifizierungspflicht (Ausweispflicht) für den Kauf von Prepaid-Karten, mehr Überwachung und eine engere Zusammenarbeit der Geheimdienste vor. eco begrüßt, dass zumindest eine problematische Regelung nicht Bestandteil der Gesetzesinitiative wurde: die Pläne, Internetprovider als private Helfer im Kampf gegen Terrorismus einzusetzen.

  • Hatespeech

Das Thema Hatespeech hat in 2016 in der Politik für viel Aufregung gesorgt. Besonders Bundesjustizminister Heiko Maas kündigt immer wieder härtere Maßnahmen an, die Plattform-Betreiber wie Facebook künftig stärker in die Verantwortung für die Bekämpfung von Hass-Postings nehmen sollen. Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von eco durchgeführt hat, sind bereits über einem Drittel der Bevölkerung schon einmal fremdenfeindliche Hasskommentaren im Internet begegnet.

Die aktuelle Statistik der eco Beschwerdestelle bestätigt diese Zahlen mit enormen Zuwachsraten an Beschwerden im Bereich Rechtsradikalität und Rassismus. Im Vergleich zu 2014 verzeichnete die Beschwerdestelle in 2015 über 150 Prozent mehr Beschwerden zu begründeten Fällen im Bereich Rassismus. In absoluten Zahlen erreichen Hass-Postings allerdings bei weitem nicht das Beschwerdeaufkommen wie beispielsweise Kinderpornografie.

Konkret gefordert wird immer wieder eine Verpflichtung für Plattform-Betreiber, ihre Seiten regelmäßig auf unerwünschte Inhalte zu scannen und diese eigenständig zu entfernen. Aus Sicht der Internetwirtschaft ist dieser Vorschlag zum einen problematisch, da er suggeriert, Social Media Anbieter seien zu einer Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden nicht bereit und müssten deshalb per Gesetz gezwungen werden. Tatsächlich arbeiten Anbieter an verschiedenen Stellen und im Rahmen verschiedener Kooperationsinitiativen erfolgreich mit Politik und Ermittlungsbehörden zusammen, beispielsweise im Rahmen der im vergangenen Jahr mit Bundesjustizminister Heiko Maas gegründeten Task Force gegen Hassbotschaften, die auch eco unterstützt. Zum anderen sind die Unternehmen aber auch keine staatlichen Erfüllungsorgane. Die Entscheidung darüber, welche Inhalte noch in den Bereich der Meinungsfreiheit fallen und welche strafrechtlich relevant sind, muss im Zweifel bei Gerichten liegen. Alles andere würde zu einer unkontrollierbaren Zensurinfrastruktur im Netz führen und damit eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im Internet darstellen.

  • WLAN-Gesetz: Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber

Der Bundestag hat im Juni 2016 das monatelang hart umkämpfte WLAN-Gesetz verabschiedet und damit das Ende der so genannten Störerhaftung besiegelt. Aus Sicht von eco ist der Weg damit frei für öffentliche Hotspots in Deutschland. Laut einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von eco durchgeführt hat, will die Hälfte der Bevölkerung öffentliches WLAN künftig stärker nutzen. 48 Prozent der Befragten sehen beim Ausbau des WLAN-Angebots im öffentlichen Raum den Staat in der Pflicht: Sie sind der Ansicht, dass Städte und Kommunen eigene WLAN-Netze anbieten sollten. Fast ein Viertel der Befragten meint, dass Städte und Kommunen die Wirtschaft beim Ausbau von WLAN-Netzen unterstützen sollten.

  • Digitale Bildung und Arbeit

Die Bedeutung digitaler Technologien und des Internets ist zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor weltweit geworden. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Berufsbilder, Arbeitsprozesse und Anforderungsprofile sind bereits gut erkennbar. Das deutsche Bildungssystem muss diesem Wandel stärker als bisher Rechnung tragen. Auch die Bundesregierung hat jetzt den Handlungsbedarf im Bereich digitaler Bildung erkannt und mit dem im Oktober 2016 vorgestellten „Digitalpakt #D“ ein Förderprogramm für die Verbesserung der digitalen Infrastruktur an Schulen vorgelegt. Auch die Kultusministerkonferenz hat vor wenigen Tagen eine erste Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ vorgelegt, die Handlungsfelder für Länder, Bund, Kommunen und Schulträger sowie Schulen beschreibt. Aus Sicht der Internetwirtschaft ist das ein erster wichtiger Schritt, gleichwohl ist es mit Strategien und der Schaffung technischer Grundlagen alleine nicht getan. Gleichzeitig müssen auch die Lehrer befähigt werden, mit didaktischen Konzepten Kinder und Jugendliche an diese Technologien heranzuführen. Daher sind die Bundesländer jetzt in der Pflicht: Sie müssen rasch nachziehen und konkrete Handlungskonzepte vorlegen, wie die Vermittlung von IT- und Medienkompetenzen effektiv in den Unterricht integriert werden kann.

Die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen werden die Arbeitswelt in den nächsten 20 Jahren fundamental verändern. Aus Sicht der Internetwirtschaft sind mit diesem Wandel mehr Chancen verbunden als Bedrohungen. Bundesministerin Nahles hat diese Chancen erkannt und setzt in ihrem im Oktober 2016 vorgestellten Weißbuch Arbeiten 4.0 mit den Themen Weiterbildung und Anpassungen im Arbeitsrecht zwei richtige Schwerpunkte.

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