Die Bedeutung des digitalen Wandels wird 2017 in den Führungsetagen deutscher Unternehmen mittlerweile überwiegend erkannt: In jeder dritten Firma ab 250 Millionen Euro Umsatz wird der Prozess inzwischen direkt durch die Geschäftsleitung gesteuert. 2016 war dies lediglich bei 24 Prozent aller Unternehmen der Fall. Darüber hinaus zählt die digitale Transformation nun auch in exakt 50 Prozent der Großunternehmen zu den Top-3 der Firmenziele (2016: 41 %). Zeitgleich zeigt sich aber ein deutlicher Rückstand zu den USA.
In den USA wird zum einen der digitalen Transformation eine grundsätzlich höhere Bedeutung beigemessen. So ist die Digitalisierung dort bereits bei zwei Dritteln der Großunternehmen (66 %) unter den Top-3-Zielen. Inzwischen sehen sich mehr als doppelt so viele Firmen wie hierzulande schon ’sehr gut‘ oder ‚gut‘ darauf vorbereitet (USA: 85 %, D: 35 %). Darüber hinaus erachtet mit 90 Prozent die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Unternehmen ihre Mitarbeiter für qualifiziert für den digitalen Wandel – anders als in Deutschland (42 %). US-Konzerne legen auch ein anderes Tempo in der Umsetzung vor: Die Hälfte aller US-Konzerne erwartet bereits in weniger als einem Jahr Effekte der digitalen Transformation auf Marktanteile oder Umsatz – in Deutschland sagen das lediglich sechs Prozent.
Das sind Kernergebnisse einer repräsentativen Befragung von Großunternehmen ab 250 Millionen Euro beziehungsweise US-Dollar Jahresumsatz in Deutschland und in den USA, durchgeführt von etventure in Zusammenarbeit mit der GfK in Nürnberg und dem Institut YouGov USA. Sie schließt an eine im Vorjahr durchgeführte Untersuchung an. Erstmals wurde dieses Jahr der US-amerikanische Markt in die Untersuchung mit einbezogen.
Fehlende Erfahrung als größte Hürde bei Digitalisierung in Deutschland
„Die etventure-Studie zeigt: 2017 ist die Frage in deutschen Chefetagen nicht länger, ob die digitale Transformation ‚wichtig‘ oder ’sehr wichtig‘ für das eigene Kerngeschäft ist – eine sehr positive Erkenntnis für den deutschen Markt“, erklärt Philipp Depiereux, Gründer und Geschäftsführer von etventure. „Allerdings gelingt es den hiesigen Unternehmen meist noch nicht, dieses Wissen auf die gesamte Kernorganisation zu übertragen und die Mitarbeiter für die Digitalisierung zu motivieren. Mit Blick auf den Rückstand auf die USA bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle ist dies ein gefährlicher Zustand.“
Tatsächlich bezeichnet sich in der etventure-Studie jedes dritte Großunternehmen hierzulande (31 %) als zu unflexibel und zu langsam gegenüber den Anforderungen der digitalen Transformation. In den USA sind es nur sieben Prozent. Mit 63 Prozent sehen die meisten aller befragten Großunternehmen in Deutschland außerdem die ‚fehlende Erfahrung bei nutzerzentriertem Vorgehen‘ als Haupthemmnis (2016: 52 %). In den USA sagen dies nur 14 Prozent. Die ‚Verteidigung bestehender Strukturen‘, 2016 mit 65 Prozent noch das mit Abstand meistgenannte Hemmnis hierzulande, wird 2017 zwar weniger oft genannt, ist aber noch immer in jedem zweiten deutschen Unternehmen ein Problem (USA: 28 %).
„Dass in den USA interne Widerstände deutlich seltener als Problem gesehen werden, lässt sich teilweise damit erklären, dass mehr als jedes zweite Großunternehmen in den USA (57 %) schon heute eine digitale Geschäftseinheit besitzt“, so Depiereux. „In Deutschland ist es nur ein Drittel (33 %). Um aber bereits innerhalb weniger Wochen konkrete Ergebnisse vorweisen zu können, sollten die ersten Aktivitäten in einem solchen ‚geschützten Raum‘, zum Beispiel einer eigenständigen Digitaleinheit, stattfinden. Die ersten Erfolge aus einer solchen Digitaleinheit wirken dann als Initialzündung und müssen aktiv dafür genutzt werden, um sukzessive auch die Kernorganisation für die Digitalisierung zu begeistern.“
Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund eines weiteren Ergebnisses: Laut der Studie sind in mehr als jedem dritten deutschen Großunternehmen (37 %) die Mitarbeiter durch das Thema digitale Transformation verunsichert (USA: 6 %).
USA erwartet Jobwunder durch Digitalisierung – Deutschland verhalten
Tatsächlich befürchtet hierzulande auch jeder fünfte Konzern (20 %), dass im Zuge der Digitalisierung Arbeitsplätze abgebaut werden. In den USA sagt das mit vier Prozent nahezu keines der befragten Großunternehmen.
Vielmehr erwarten sechs von zehn US-Firmen (59 %) einen Zuwachs von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung – in Deutschland sind es nur zwei von zehn (19 %). „Daraus lässt sich auch ableiten, dass in Deutschland mit der Digitalisierung vor allem Prozessoptimierung und Effizienzgewinne verbunden werden, in den USA aber auch Wachstum durch neue digitale Geschäftsmodelle“, so Depiereux. „Hinzu kommt, dass in den USA mehr als doppelt so viele und mit 90 Prozent nahezu alle Großunternehmen ihre Belegschaft als qualifiziert für die Herausforderung der Digitalisierung sehen. Hierzulande sagen das lediglich 42 Prozent. Eine Mehrheit von 58 Prozent geht damit von Defiziten bei notwendigen Kompetenzen aus.“
Dabei sind sich US-Unternehmen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Mitarbeiter durchaus bewusst: Dass sich Maßnahmen zur digitalen Transformation auf mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im Konzern auswirken werden, sehen sie deutlich häufiger als hiesige Großunternehmen (USA: 66 %, D: 44 %). Um diese Kompetenzlücken zu schließen, setzen die Unternehmen in beiden Ländern in erster Linie auf Weiterbildungsmaßnahmen. Allerdings: Wenn Fähigkeiten der Mitarbeiter nicht ausreichen, wollen insgesamt weniger Unternehmen in Deutschland Entlassungen aussprechen als in den USA (D: 23 %, USA: 31 %).
Jedes dritte Großunternehmen in Deutschland kooperiert mit Startups
Zunächst überraschend ist dieser Studienbefund: Fast drei Mal häufiger als US-Konzerne arbeiten Großunternehmen in Deutschland inzwischen mit jungen Startups zusammen (D: 35 %, USA: 14 %). Ziel der Zusammenarbeit ist es vor allem, „schneller Innovationen“ zu entwickeln und „Zugänge zu neuen Technologien“ zu erhalten. Während fast 90 Prozent dieses Ziel erklären, sind es in den USA mit etwa 60 Prozent weit weniger. Umgekehrt wollen nur 32 Prozent der US-Unternehmen über Startups ihre Forschung und Entwicklung auslagern – in Deutschland sind es fast doppelt so viele (47 %).
„In der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse lässt sich im Vergleich der Jahre 2016 und 2017 für Deutschland durchaus eine positive Entwicklung feststellen“ resümiert Depiereux. „Problematisch ist, dass die Digitalisierung jenseits der Führungsebene noch immer eher als Risiko statt als Chance begriffen wird. Das erschwert natürlich einen schnellen Start in die Umsetzung. Um hier mit den USA mithalten zu können, müssen Unternehmen zum einen in die Weiterbildung der Mitarbeiter investieren. Darüber hinaus ist es aber besonders wichtig, die Strukturen, etwa mit einem geschützten Raum zu schaffen, in dem Neues entwickelt und getestet werden kann. Denn wenn der Erfolgsnachweis im Kleinen erbracht werden kann, gelingt es deutlich schneller, Digitallösungen zurück ins Unternehmen zu tragen und schafft im Gesamtunternehmen die nötige Offenheit für den digitalen Wandel.“
Methodik: Die Studie „Digitale Transformation und Zusammenarbeit mit Startups in deutschen und US-amerikanischen Großunternehmen“ wurde durch die GfK Nürnberg und das Institut YouGov USA zeitgleich in Deutschland und in den USA durchgeführt. Sie basiert auf einer telefonischen Befragung von Großunternehmen ab 250 Mio. Euro bzw. Dollar Jahresumsatz.
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