Unternehmen und der öffentliche Sektor im deutschsprachigen Raum kommen bei der Digitalisierung voran, wenn auch eher langsam. Wohin die digitale Reise gehen soll, ist allerdings in vielen Bereichen noch unklar. Über alle Industrien hinweg sind nur in wenigen Ausnahmefällen vollständige Ziele und Digitalisierungsstrategien definiert.
Wurden im Vorjahr noch technologische Aspekte fokussiert, ist in den vergangenen zwölf Monaten laut Digitalisierungsmonitor von BearingPoint das Thema Strategie in den Vordergrund gerückt. Für mittelständische Unternehmen spielen Technologien zwar weiterhin eine wichtige Rolle, größere Unternehmen hingegen haben bereits die Bedeutung von neuen Geschäftsmodellen erkannt.
Fortschritte vor allem in den Kundenorientierung
Damit sei die Einsicht gereift, welche Faktoren für den Erfolg der digitalen Transformation entscheidend sind: Unternehmenskultur, Organisationsstruktur sowie individuelle Einstellungen der Entscheider und Mitarbeiter wie Experimentierfreude und Inspiration, so die BearingPoint-Studie.
Fortschritte zeichnen sich vor allem in der Kundenorientierung ab: „Bereits bei unserer Studie im Jahr 2016 wurde deutlich, dass Unternehmen mithilfe der Digitalisierung speziell auch ihre Kundenangebote verbessern wollen“, kommentiert Carsten Schulz, Partner bei BearingPoint. „Und dieser Trend ist weiter gestiegen. Zum Beispiel bieten inzwischen eine Vielzahl an Unternehmen ihren Kunden unterschiedliche Vertriebs- und Kontaktkanäle an und setzen bei Prozessen auf neue digitale Technologien, um das Kundenerlebnis zu verbessern.“
Noch kopflos: Digitale Zeitumstellung in den Organisationen
Die mit Abstand größten Herausforderungen wurden innerhalb der eigenen Organisation identifiziert. „Besorgniserregend ist die Selbsteinschätzung der Befragten im Bereich Organisationkultur“, erläutert Alexander Broj, Partner bei BearingPoint. „Ein Großteil der Befragten sieht sich noch in traditionellen Organisationsstrukturen verhaftet und vermisst eine zeitgemäße, agile und horizontale Projektkultur. Für die Erfolgsaussichten der digitalen Transformation sind diese Befunde bedenklich. Ohne die richtigen Voraussetzungen können Digitalisierungsbemühungen nicht gelingen.“
„Drei Viertel der Befragten schätzen viele Probleme als hausgemacht ein“, erklärt Broj weiter. „Wie auch im letzten Jahr spielt Geld dabei eine untergeordnete Rolle. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, kulturelle und strukturelle Aspekte so anzupassen, dass eine Bereitschaft zur Veränderung entsteht. Sonst bleiben digitale Innovationen weiterhin Inselprojekte. Finanziell sind sie zwar ausreichend ausgestattet und auch die Unterstützung durch das Management ist vorhanden. Allerdings fehlen die richtigen Netzwerkstrukturen, um sie im gesamten Unternehmen zu verankern.“
Als ein weiteres Hemmnis wurden veraltete IT-Systeme ausgemacht. Dabei geht es weniger um Software-Systeme als vielmehr um Datenbanksilos, die den Wissensaustausch im Unternehmen durch zu wenige Schnittstellen behindern. Das hat gravierende Auswirkungen auf alle Bereiche und Industrien, denn letztendlich können die Unternehmen so den größten und wertvollsten Rohstoff des 21. Jahrhunderts nicht nutzen: Daten.
404: Struktur-/Kulturwandel not found
Dass grundlegende strukturelle Veränderungen bisher nicht eingetreten sind, zeigt auch ein weiteres Ergebnis der Befragung: Chancen von beispielweise Automatisierungsprozessen bleiben weitgehend unerkannt. Unternehmen haben eher klassische Erwartungen an Automatisierung und versprechen sich vor allem eine höhere Effizienz von Arbeitsabläufen, geringeren Personalbedarf und niedrigere Kosten. Weitere Vorteile wie beispielsweise neue Leistungen, Produkte oder neue Geschäftsmodelle werden bislang kaum in Betracht gezogen.
Die kulturellen Defizite zeigen sich auch bei den Mitarbeitern, die als digitale Visionäre gelten. Waren 2016 noch viele Unternehmen auf der Suche nach dem digitalen Heilsbringer, ist in den letzten Monaten die Einsicht eingekehrt, dass visionäre Köpfe als Einzelperson wenig Handlungserfolg haben. Vielmehr geht es darum, eine kritische Masse an digitalen Visionären in die Organisation zu integrieren. „Digitale Vordenker werden allerdings nicht systematisch gesucht und es fehlt bereits im Recruiting an Maßnahmen zur Förderung von digitalen Visionären“, ergänzt Schulz. „Somit gibt es zahlenmäßig nicht nur wenige Vordenker – sie werden auch unzureichend eingebunden und haben kein unterstützendes Netzwerk. Dies macht sie zu großen Teilen handlungsunfähig und ihre Kraft, etwas im Unternehmen zu ändern, ist daher eher gering.“
5 Handlungsempfehlungen für die digitale Transformation
Auf Basis der Studienergebnisse hat BearingPoint fünf Ansätze formuliert, die Unternehmen bei der weiteren digitalen Transformation unterstützen:
1. Orientieren am Kundennutzen – „Was will der Kunde“ als erste und letzte Frage
2. Inspirieren und inspirieren lassen – Austausch unterschiedlicher Köpfe suchen und fördern
3. Ganzheitliches Durchspielen neuer Möglichkeiten – Innovation konsequent zu Ende denken und das gesamte Unternehmen darauf einstellen
4. Fehler dürfen nicht teuer sein – Beschränkte Ressourcen auf möglichst vielen Ideen einsetzen und bei Erfolgen und Misserfolgen schnell reagieren
5. Ohne leistungsfähige IT geht es nicht – Laufende Prozesse hinterfragen und ungenutzte Möglichkeiten identifizieren
Methodik: Die Studie „Roboter, Rebellen, Relikte. Überkommene Strukturen behindern die Digitale Transformation.“ wurde von Mitte April bis Mitte Juli 2017 durchgeführt und umfasste rund zehn Prozent mehr Teilnehmer als im Vorjahr. Insgesamt wurden 310 Mitarbeiter aus Unternehmen und Behörden im deutschsprachigen Raum befragt. Die Teilnehmer kamen aus unterschiedlichsten Branchen.