Krisen wie die Corona-Pandemie haben immer stärkere Auswirkungen auf die globalen Lieferketten von Unternehmen. Der Trend zu Reshoring und Nearshoring, also der Verlagerung der Güterproduktion wieder in heimische Regionen, wird weiter zunehmen. Bis zu einem Viertel der globalen Lieferketten könnten dadurch bereits in den nächsten fünf Jahren global verlagert werden.
In der Studie „Risk, resilience, and rebalancing in global value chains“ untersuchte das McKinsey Global Institute (MGI) die Wertschöpfungs- und Lieferketten in 23 Branchen hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für bestimmte Arten von Krisen, darunter Pandemien, Cyberattacken, Handelskriege, Naturkatastrophen und Klimarisiken. Die Analyse zeigt: Über alle Branchen hinweg ist mittlerweile im Durchschnitt alle 3,7 Jahre mit monatelangen Unterbrechungen der Lieferketten zu rechnen. Unternehmen müssen einpreisen, dass diese Unterbrechungen im Laufe eines Jahrzehnts im Durchschnitt rund 40 Prozent der Gewinne eines Jahres vernichten können. Die größten Verluste drohen in der Luftfahrt und der Automobilindustrie sowie im Bergbau und der Erdölproduktion.
Großvolumige Verlagerung an Lieferströmen
Das MGI schätzt das Volumen der 25 Prozent weltweiten Liefer- und Warenströme, die in den nächsten fünf Jahren möglicherweise in neue Länder verlagert werden könnten, auf bis zu 4,6 Billionen Dollar jährlich.
„Ob es tatsächlich zu dieser Verlagerung kommt, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab“, stellt McKinsey-Partner Knut Alicke, einer der Ko-Autoren der Studie, fest. Dazu zählen vor allem die tatsächlichen Kosten für die Verlagerung der Produktion, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Umfang, Komplexität und Verflechtung der existierenden Lieferketten als auch Faktoren, wie eine geänderte Politik von Regierungen zur Förderung der inländischen Produktion von Gütern, die als wesentlich oder wichtig für die nationale wirtschaftliche Sicherheit angesehen werden.
Es sei beispielsweise möglich, dass Deutschland und Europa Regulierungen vorantreiben, die eine regionale Produktion von Wirkstoffen für die Herstellung von Pharmazeutika erfordern. Bei verstärkter Automatisierung der Produktion wäre insbesondere die Wertschöpfungsverlagerung von China und Indien in heimische Regionen denkbar. Auch in Automobil- und Maschinenbau könnte es Alicke zufolge zu Verlagerungen kommen.
Resilience: Mehr als ein Modewort
„Resilience“, die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens auch in Krisensituationen, sei mehr als ein neues Modewort, betont Alicke. Dabei müsse es auch für Unternehmen um mehr gehen als die Frage, wo Waren hergestellt werden. Alicke: „Unternehmen müssen ein neues Gleichgewicht zwischen Just-in-Time-Produktion mit möglichst schlanken Lieferketten und mit minimalen Lagerbeständen und langfristiger Widerstandsfähigkeit sichern.“
Zu den Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um diese Widerstandsfähigkeit zu erreichen, gehören Alicke zufolge die detaillierte Kartierung der Unterebenen ihrer Lieferketten und deren digitale Verbindung für eine bessere Transparenz, der Aufbau von eigenen und Zulieferkapazitäten zur Flexibilisierung der Produktion an mehreren Standorten, die Aufstockung der Lagerbestände sowie die Stärkung ihrer Bilanzen.