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Deutsche Start-ups: 4 Mythen, die nicht mehr gelten

Die Digitalisierung hat die europäische Gründerszene stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Ein Grund hierfür ist die bessere finanzielle Ausstattung der Startups, die im ersten Halbjahr 2015 um 86 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen ist. Hinzu kommen wichtige Übernahmen und die Anziehungskraft junger Unternehmen, die zum Vorbild der heutigen Geschäftswelt avanciert sind.

Startups stehen heute auf einem festeren Fundament als noch zu Beginn des Jahrhunderts, denn digitale Technologien sind mittlerweile allgegenwärtig und gelten als geschäftsfördernd: „Die Software hat ihren Einfluss als Innovationsmotor verloren“, sagt Charles-Edouard Bouée, CEO von Roland Berger. „Viel wichtiger ist es, Business Intelligence und Daten miteinander zu verbinden. Denn nur so lassen sich Geschäftsvolumen und Effizienz im Unternehmen steigern.“

Diese Veränderungen des europäischen Startup-Marktes haben nun die Roland Berger-Experten unter die Lupe genommen. In ihrer neuen Studie „Can European Start-ups crack the code? How to realize the old continent’s digital vision“ analysieren sie die Entwicklung und die Chancen der europäischen Startups und rechnen mit falschen Mythen ab.

Alte Mythen über Startups sind überholt

Die Roland Berger-Experten identifizieren vier Mythen über die europäische Gründerlandschaft, die heute ihre Gültigkeit verloren haben.

1. Der europäische Markt ist nicht attraktiv genug für Gründer
London, Paris und Berlin sind hervorragende Hubs-Beispiele für die innovative Startup-Szene. Denn diese Metropolen bieten günstige Bedingungen für die Entstehung neuer Firmen. So erlebt Berlin seit einigen Jahren eine kreative Revolution – auch im Digitalbereich. Alle 20 Stunden entsteht in der deutschen Hauptstadt ein neues Internetunternehmen. Die Möglichkeit, auf gut ausgebildete Fachkräfte zurückzugreifen, aber auch günstige Immobilienmieten für Neugründungen spielen hier eine wesentliche Rolle. Ein weiterer Treiber für den Schwung des europäischen Startup-Marktes sind außerdem die zahlreichen Akzeleratoren und Inkubatoren. Ihre Anzahl in Europa hat sich seit 2007 vervierfacht, was die Gründung innovativer Firmen erheblich erleichtert.

2. Es mangelt den europäischen Startups an Kapital
Europäische Digitalunternehmen schließen mit enormem Tempo zu den USA auf. 2015 haben sie insgesamt 5,7 Milliarden Dollar eingesammelt – 2014 waren es noch knapp 3 Milliarden Dollar. Auch die Kapitalbeschaffung im Ausland ist kein Neuland mehr für europäische Firmen: Zwischen 2010 und 2014 investierten Private Equity-Manager aus nicht-EU-Staaten insgesamt 6 Milliarden Euro in europäische Unternehmen. Dass europäische Startups immer erfolgreicher werden zeigt auch die Anzahl der Börsengänge: Diese ist im laufenden Jahr um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

3. Die Startups haben Probleme, geeignete Arbeitskräfte zu finden
Sprachbarrieren stellen nach wie vor ein gravierendes Problem dar, wenn europäische Firmen hochqualifizierte Arbeitskräfte rekrutieren müssen. Hinzu kommen strenge Vorschriften bezüglich der Arbeitserlaubnis – wie etwa in Deutschland. Doch trotzt bürokratischer Hürden zeigt der europäische Markt auch klare Stärken. So ist Europa akademisch sehr gut aufgestellt und hat einige der besten Wirtschaftshochschulen weltweit.

4. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa sind nicht gründerfreundlich
Die Breitbandversorgung in den europäischen Wirtschaftszentren ist gut und Unternehmen können sich auf einen hohen Sicherheitsstandard im Datenschutzbereich verlassen. Zudem bietet Europa ein attraktiveres Preis-Leistungsverhältnis als etwa die USA. Denn dort liegen die Lohnkosten für Software-Ingenieure im Schnitt 25 Prozent über die Lohnkosten in Europa. Auch Mietpreise für Gewerbeimmobilien spielen eine signifikante Rolle: Selbst in den teuersten europäischen Wirtschaftszentren wie Paris sind Mietpreise bis zu 30 Prozent günstiger als in San Francisco.

Industriekompetenz, Vielfalt und Internationalisierung: die europäischen Stärken

Durch Big Data, Cloud Computing und die verstärkte Robotisierung der Industrieproduktion beginnt aber jetzt eine neue Phase der digitalen Revolution:“Silikon war gestern. Daten sind der neue Rohstoff der Startup-Industrie“ , erklärt Philipp Leutiger, Partner von Roland Berger, den Umbruch. „Und diese neue Entwicklungswelle eröffnet Europa die Möglichkeit, seine traditionellen Stärken besser einzusetzen: Industriekompetenz, Vielfalt und Internationalisierung.“

Viele europäische Konzerne haben diesen Trend bereits erkannt und investieren verstärkt in junge und innovative Firmen. Doch auch globale Digitalunternehmen sind auf die europäischen Startups aufmerksam geworden und weiten ihre Präsenz auf dem europäischen Markt aus – eine große Chance für junge Unternehmen. „Europa sollte auf seine eigenen Fähigkeiten setzen, die richtigen Nischen finden und neues, unerforschtes Terrain betreten. Am Ende winkt eine neue, digitale Zukunft für unseren Kontinent“, prognostiziert Charles-Edouard Bouée.

Damit sich europäische Startups weiterentwickeln können, braucht Europa einen breiten digitalen Kontext, in dem junge Firmen und traditionsreiche Unternehmen nebeneinander florieren und sich gegenseitig befruchten können. „Es geht um den positiven Einfluss, den die Startups auf die europäische Wirtschaft haben“, erklärt Philipp Leutiger. „Ihre Präsenz hilft traditionellen Unternehmen, in den digitalen Wettlauf einzusteigen – und umgekehrt auch. So entsteht eine gesunde Symbiose, die europäische Firmen dabei unterstützt, sich in der globalen Digitalwirtschaft stark zu positionieren.“

Drei Säulen für die digitale Zukunft Europas

Um seine digitale Zukunft besser zu entfalten, sollte Europa deshalb auf drei wesentliche Säulen setzen.

Die erste Säule: Unternehmen und Personen aufbauen, die mit den alten Spielregeln des Marktes brechen, neue Spielregeln festlegen und Marktlücken füllen können. Denn Europa ist reich an innovativen Talenten, wie amerikanische Digitalriesen schon vor langer Zeit erkannt haben. Europa sollte daher seine eigenen Innovationsvorteile stärker nutzen, die Verbindung zwischen traditionsreichen Unternehmen und Startups unterstützen und die digitale Infrastruktur ausbauen.

Die zweite Säule: „Europa sollte die besten Ideen für international anerkannte Normen entwickeln. Dazu gehören wichtige Bereiche wie Datensicherheit, Data Governance, Zahlungsmodelle und Verbraucherrechte“, erläutert Charles-Edouard Bouée. Doch dieser Prozess ist sehr aufwändig, denn es geht nicht nur darum, Normen für die einzelnen Bereiche zu definieren, sondern auch einen Konsens zwischen Politik und Industrie zu finden. Schließlich müssen sich Regeln und Standards nach ihrer Einführung auf dem Markt durchsetzen, um Vertrauen zu schaffen. Denn nur so kann Europa die Internationalisierung der digitalen Startups unterstützen, die wichtigsten Wirtschaftszentren vernetzen und für die richtige Balance zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Initiativen sorgen.

Bei der dritten Säule geht es auch darum, eine Führungsrolle zu übernehmen und ein digitales Ökosystem zu schaffen, in dem sich Kunden, Firmen, Unternehmer und Mitarbeiter in der digitalen Welt sicher fühlen. Hier sollen die europäischen Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herrschen. Denn in einer Ära der uneingeschränkten Datensammelwut öffnet sich eine große Lücke, die Europa füllen könnte.

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