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Der deutsche Cyber-Untergrund – eine Nische mit Packstation-Service

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Quelle: Trend Micro

Auch wenn Cyberkriminalität keine Grenzen kennt, gibt es im digitalen Untergrund durchaus länderspezifische Eigenheiten. In Deutschland beispielsweise haben Cyberkriminelle eine Ablagemöglichkeit für sich entdeckt, die den „Packstation-Service“ der Deutschen Post missbraucht. Forschungen von Trend Micro zeigen, dass der deutschsprachige Untergrund ein kleines, aber doch ausreichend reifes Ökosystem ist, das den „Grundbedarf“ der lokalen Cyberkriminellen bedient.

Auch wenn er zahlenmäßig weit hinter anderen zurückfalle, sei er doch der wohl am weitesten entwickelte in der EU. In ihrer Untersuchung konzentrierten sich die Bedrohungsforscher des japanischen IT-Sicherheitsanbieters auf drei zentrale Gebiete: auf die wichtigen Foren und Marktplätze, auf die Verbindungen zum russischen Cyber-Untergrund, dem weltweit wichtigsten, und auf die ausschließlich hier verfügbaren Angebote. Dazu zählen Nischenprodukte wie der „Packstation-Service“ oder Telefondienste sowie lokal erstellte „Crimeware“.

Ob Aktivitäten zum deutschen Untergrund gehören oder eher weiter reichen, lasse sich nicht immer bestimmen. Einfacher sei es, die Anzahl der in deutschen Untergrundforen registrierten Nutzer zu ermitteln: Sie ist – auch wenn es nur wenige Foren und Marktplätze gibt – mit nahezu 70.000 relativ hoch. Die Zahlen wurden in dieser Untersuchung nicht nur über die Sprache der Teilnehmer bestimmt, sondern auch über den geographischen Standort der „Kunden“.

Die Marktstruktur

Die Sicherheitsforscher fanden zehn große Foren und mindestens zwei Marktplätze, die auf Crimeware (für Internetkriminalität genutzte Schadsoftware wie beispielweise Spyware, Botnetze und Trojaner) und illegale Waren wie Drogen oder Fälschungen spezialisiert sind. Foren dienen hierbei zum Informationsaustausch und Kennenlernen, während Marktplätze ausschließlich als Handelsorte für Kreditkarten, gehackte Konten, Fälschungen und dergleichen fungieren.

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Quelle: Trend Micro

Den fünf wichtigsten Foren ist gemein, dass sie allesamt nicht in Deutschland gehostet werden und die Domains bei ausländischen Registraren angemeldet sind. Zwei von ihnen – „back2hack.cc“ und „secunet.cc“ – geben sich sogar als Sicherheitsforen aus, obwohl sie eine „gute Auswahl“ an cyberkriminellem Bedarf anbieten: Nutzer können hier Remote-Access-Trojaner, Password-Stealer oder gehackte Konten beispielsweise von „Zalando“ kaufen.

Dagegen versuche „Crimenetwork.biz“ erst gar nicht, seine Aktivitäten durch einen irreführenden Namen zu verschleiern. Es sei mit 60.000 registrierten Nutzern das größte deutsche Untergrundforum, das täglich mehrere Tausend Besuche zählt. Es ist streng hierarchisch gegliedert, die Hierarchie zeige sich durch verschiedene Ebenen, vom einfachen Mitglied bis zum Treuhänder und Verkäufer. Diesem Forum sind einige Marktplätze wie „chemical-love.cc“ angeschlossen, in denen Drogen verkauft werden.

Eine klar gegliederte Struktur habe der deutsche Cyber-Untergrund nicht. Es gibt Foren, die über „The Onion Router“ (TOR) erreichbar sind – dabei handle es sich nicht um separate Websites, sondern um Spiegel-Server (.onion-Mirrors), die Anonymität gewährleisten sollen. Hier bestehe ein Unterschied zum russischen Untergrund, der diese Art der Zugangsstaffelung nicht anbietet, auch nutzen die bekanntesten russischen Untergrundforen das „Deep Web“ nicht. Dieser Unterschied könnte an der strengeren Überwachung der Einhaltung der Gesetze in Deutschland liegen.

Die Angebote

Während das Angebot in globalen Märkten weitaus größer sei, umfasse das Angebot in Deutschland nicht so sehr Crimeware – hier sei der russische Markt stärker –, sondern beispielsweise gefälschte Ausweise, gestohlene Kreditkarten, gehackte Konten oder Bulletproof-Hosting-Dienste.

Bulletproof Hosts bilden die Grundlage für jede cyberkriminelle Operation, sie dienen der Lagerung von Malware-Komponenten oder Exploit-Kits, fungieren als Kommandozentren für Botnetze oder als Hosts für Phishing-, Porno- oder Betrugs-Sites.

Bulletproof-Hosting-Service-Provider im deutschen Untergrund kompromittieren meist entweder dedizierte Server und vermieten diese an Dritte, die darauf bösartige Inhalte lagern, oder missbrauchen Cloud-Hosting-Services wie „Amazon Web Services“, um dort Command-and-Control-Server zu hosten oder gestohlene Daten abzulegen, ohne dass die Besitzer davon etwas mitbekommen.

Weil es aufgrund der strengen Gesetze hierzulande schwierig sei, eine Hosting-Umgebung aufzubauen, werde keines der deutschen Untergrundforen in einem EU-Land gehostet. Auch seien die Domänennamen nicht in Deutschland oder der EU registriert, sondern nutzen meist Endungen wie „.cc“. Die meisten Forenmitglieder nutzen russische oder ukrainische Bulletproof-Hosting-Service-Provider wie „2×4.ru“, „hosting.ua“, „infinumhost.ru“, „anders.ru“ und „bulletproof-web.ru“.

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Quelle: Trend Micro

Einen relativ hohen Anteil am deutschen Untergrundmarkt haben die Produktion und der Verkauf von gefälschten Ausweisdokumenten wie Reisepässen oder Führerscheinen. Die „Kunden“ dieser Angebote benötigen gefälschte Identitäten in der Regel, um sich zu registrieren, ihr Alter zu fälschen oder neue „digitale Identitäten“ zu erstellen.

Üblich sei auch der Wiederverkauf gescannter Ausweiskopien. Sie werden dazu genutzt, um Bankkonten zu eröffnen oder um zusätzliche Informationen für Social-Engineering-Betrügereien zu bekommen. Der hohe Bedarf lasse sich an der Anzahl der Websites ablesen, die dafür Werbung machen.

Die Alleinstellungsmerkmale: Nischenprodukte

Angesichts der Konkurrenz vor allem durch englisch- und russischsprachige Communities mussten sich deutschsprachige Cyberkriminelle laut Trend Micro erst eine Nische suchen, die sie in den an lokale Bedürfnisse angepassten Inhalten fanden. Um gestohlene Kreditkarten und Online-Konten zu Geld zu machen, verlassen sich die meisten Untergrundmärkte auf (wissentlich oder unwissentlich agierende) „Dropper“.

Trendmicro5Anders die Akteure im deutschen Untergrund: Sie haben eine Ablagemöglichkeit für sich entdeckt, die den „Packstation-Service“ der Deutschen Post missbraucht. Packstationen erlauben einen bequemen Güteraustausch und Zahlungsverkehr, die „gehackten“ Versionen sind entweder an eine Mobilnummer und Mailadresse gebunden oder können mit einer beliebigen Mobilnummer genutzt werden.

Und so funktioniert´s: Die Verkäufer legen ihre Waren in den öffentlich zugänglichen Metallkästen ab, die Käufer erhalten eine SMS mit ihrer pTAN und können dann, zusammen mit ihrer Zugriffskarte, das Päckchen abholen. Die Adressen der Nutzer können nicht nachverfolgt werden, auch wenn sie den Service mit einer physischen Adresse und einer Mobilnummer anfordern, denn die sind einfach zu fälschen. Genutzt werden diese Services sowohl, um bei rechtmäßigen Online-Händlern Waren zu bestellen, ohne sie zu bezahlen, als auch für den Versand von Drogen oder ähnlichem.

Einer der Orte, an denen gestohlene Packstationskonten – aber auch beispielsweise Kreditkarten- und Kontozugangsdaten für Einzelhandel und Online-Banking – zu finden seien, ist der Untergrundmarktplatz „german-plaza.cc“. Dabei handle es sich um einen seit 2015 aktiven Untergrundmarktplatz, der die Struktur eines Online-Shops habe.

Der Druck, reibungslose und schnelle Verkaufstransaktionen gewährleisten zu müssen, habe zur Eröffnung solcher Marktplätze geführt. Im deutschen Untergrund gebe es einige solcher Marktplätze für Güter wie Drogen und Kreditkarten, der einzige, in dem derzeit Handel stattfinde, sei jedoch „german-plaza.cc“.

Service-Wüste Deutschland? Nicht im Untergrund!

Gehackte Online-Bankkonten gibt es für mindestens 10 Euro, abhängig vom Kontostand und der Menge der dazu gehörigen Informationen. Ein von den Bedrohungsforschern gefundenes Konto beispielsweise kostete 2.750 Euro – der Preis erklärt sich aus dem hohen Kontostand (7.500 – 8.000 Euro) sowie den umfangreichen Details, die von Telefon-PIN bis zu persönlichen Informationen über den Besitzer reichen. Gerade letztere seien wichtig: Wenn große Geldsummen von einem Konto zum anderen bewegt werden und die darüber benachrichtigten Banken beim vermeintlichen Kontoinhaber anrufen, muss er solche Informationen parat haben.

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Quelle: Trend Micro

Eine Besonderheit im deutschen Untergrundmarkt sind Telefon-Dienstleistungen, bei denen deutsche Muttersprachler solche Verifizierungsanrufe durch die Bank entgegennehmen. Sie seien teilweise im Preis der angebotenen Konten enthalten. Es sei aber auch möglich, diese Dienstleister für andere Zwecke zu nutzen und Anrufe durch sie durchführen zu lassen. Sie geben sich dann – Stichwort „Social Engineering“ – beispielsweise als Bank-Mitarbeiter aus, die am Telefon nach weiteren Details fragen, um so bereits gestohlene Informationen anzureichern.

Qualität „Made in Germany“

Das Qualitätssiegel Qualität „Made in Germany“ gebe es offenbar auch im cyberkriminellen Untergrund: Einige deutsche Cyberkriminelle entwickeln Webanwendungen gegen Bezahlung, wobei besonders ein Entwickler von vielen Nutzern für sein Können gelobt werde; er hatte ein funktionsfähiges Phishing-Skript mit Anti-Blacklisting-Funktionalität erstellt.

Daneben gebe es mit „Sphinx“, „Cube6“ und „Triple CCC“ drei Schädlinge, die zuerst im deutschen Untergrund angeboten wurden, nun aber auch in russischen Foren zu finden seien. Letzterer beispielsweise umfasse eine Malware- und eine C&C-Komponente: Der für 25 Bitcoins im deutschen Untergrund erhältliche Schädling infiziert Rechner, wenn beispielsweise ein in einer Mail eingebetteter Link angeklickt wird, kann Passwörter aus einer Vielzahl von Software-Anwendungen, Browsern, Messengern und File-Transfer-Protocol-Servern stehlen, daneben auch Microsoft-Windows-Lizenzschlüssel.

Die Überschneidungen mit dem russischen Cyber-Untergrund

Neben Angeboten aus dem russischen Untergrund, für die in deutschen Foren geworben wird, fanden die Forscher auch viele Cyberkriminelle, die sowohl im deutschen als auch im russischen Untergrund aktiv sind: Sie verglichen einige Tausend Decknamen, die sie in deutschen Foren gefunden hatten, mit denen in russischen. Um die 300 Nutzer waren in beiden Communities aktiv: Das zeige eine ziemlich rege Zusammenarbeit zwischen den beiden Untergrundmärkten – eine natürliche Entwicklung, denn Cyberkriminalität kennt bekanntlich keine Grenzen.

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