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acatech-Workshop zur Industrie 4.0 im Mittelstand: „Uns geht die Arbeit nicht aus“

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Projektleiter Günther Schuh (l) und Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung (Foto:acatech).

Der dritte Workshop zur Zukunft der Industriearbeit widmete sich den Bedürfnissen des Mittelstands in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Im Hauptsitz der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus der Sicht von Gewerkschaften, der nordrhein-westfälischen Landesregierung, der Wissenschaft und von mittelständischen Unternehmen über Erfolge und Herausforderungen der Digitalisierung.

Die Marke Industrie 4.0 habe sich europaweit durchgesetzt, erklärte acatech Projektleiter Günther Schuh von der RWTH Aachen während des dritten Workshops zur Zukunft der Industriearbeit vor rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. 17 EU-Staaten hätten das von acatech mitentwickelte Konzept zum Teil ihrer Wirtschaftspolitik gemacht und Roadmaps zur Industrie 4.0 entwickelt. Auf diesem Erfolg müsse man nun aufbauen und „die disruptive Kraft der Industrie 4.0 in eine evolutionäre Entwicklung umwandeln mit beherrschbaren Folgen für Beschäftigung und industrielle Produktion”, so Günther Schuh.

Assistenzsysteme statt Vollautomatisierung

Von guten Erfahrungen mit der Digitalisierung ehemals analoger Produktionsprozesse berichtete Hanns Peter Saniol, Geschäftsführer der Heusch GmbH, die  Schneidemesser für die Textil- und Lederindustrie herstellt. Gegründet während der ersten industriellen Revolution ist das Unternehmen mit rund 60 Beschäftigten heute einer der Hidden Champions aus Deutschland. Für die Rolle als Marktführer ist kontinuierliche Innovation entscheidend.

„Wir können mit der Konkurrenz in China oder Indien nicht über den Preis mithalten. Wir müssen bedingungslos über die Qualität gehen und immer deutlich besser sein als jeder Mitbewerber“, erläuterte Saniol den Anpassungsdruck. Statt auf die extrem teure Vollautomatisierung der Produktion setzt der Mittelständler dabei auf die Erfahrung und das Wissen seiner Belegschaft – unterstützt durch digitale Assistenzsystemen für mehr Präzision und Qualität.

System Mensch mit digitalem System in Einklang bringen

Auch Michael Guggemos, als Vorsitzender der Hans-Böckler-Stiftung Gastgeber des gemeinsam mit acatech organisierten Workshops, verwies auf die Chancen der Digitalisierung. Industrielle Produktion in Deutschland sei Dank Industrie 4.0 kein Auslaufmodell mehr, sondern ein Zukunftsthema. „Uns geht die Arbeit nicht aus. Industrie 4.0 hat viel Potenzial für zusätzliche Jobs und Wirtschaftswachstum.  Aber dafür müssen wir das analoge System Mensch mit den digitalen Systemen in Einklang bringen“, sagte Guggemos.

Wie dieser Ausgleich in der Praxis funktionieren kann, erläuterte Knut Giesinger, der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Um die Umsetzung von Industrie 4.0 aktiv mitzugestalten, teste die IG Metall derzeit in 15 Firmen eine Betriebslandkarte zur Arbeit 2020. „Mit den Beschäftigten erarbeiten wir dabei, welche Bereiche eines Unternehmens sich weiterentwickeln und was das für die Arbeitsbedingungen bedeutet. Wo ist Beschäftigung gefährdet, wo entstehen neue Jobs und was heißt das für die Weiterbildung?“

Konzentration auf Kernkompetenzen

Herausforderung und Chance sei auch die gesteigerte Flexibilität der Arbeit 4.0. Durch Telearbeit werde Arbeits- und Betriebsstätte entkoppelt. Damit verschwinde auch der Zusammenhang von erbrachter Leistung und in der Firma gearbeiteter Zeit. Das schaffe neue Freiheiten für Mitarbeiter, berge aber auch die Gefahr einer permanenten Erreichbarkeit, erläuterte Gewerkschafter Knut Giesinger. „Das ist die Flexibilität, vor der wir Angst haben: Dass Menschen wieder zu modernen Tagelöhnern werden und jederzeit verfügbar sein müssen. Aber es gibt auch eine Flexibilität, vor der Unternehmer Angst haben: Sie kommen morgens gegen 9:00 Uhr in die Fabrik und niemand ist da.“

Dass die Digitalisierung vieler Prozesse durchaus im Interesse der Beschäftigten sein kann, zeigte das Praxisreferat von Bernhard Dickmann, Geschäftsführer der mk Plast GmbH. So habe man nach der Modernisierung der Produktionsprozesse eine ungelernte Mitarbeiterin eingestellt, die keinerlei Erfahrungen mit digitalen Geräten hatte. Die sei zu Beginn skeptisch gewesen: „Was soll ich bei euch arbeiten, ihr macht doch alles mit Computern?“. Jetzt arbeite sie aber erfolgreich mit einem intuitiv zu bedienenden Assistenzsystem, das einfache Tätigkeiten übernimmt und ihr der Verpackung komplexer Lieferungen hilft. „Die Mitarbeiter können sich jetzt auf Kernkompetenzen konzentrieren. Sie wurden von wiederkehrenden Tätigkeiten befreit, die nun von Maschinen gemacht werden“, fasste Dickmann die Ergebnisse zusammen.

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