Europas öffentlicher Sektor muss den Ausbau seiner Online-Dienstleistungen spürbar beschleunigen, um die Erwartungen der Bürger und Unternehmen an digitale Verwaltungsdienste zu erfüllen. Der dreizehnte eGovernment Benchmark Report von Capgemini offenbart eine „digitale Diagonale“: eine Reihe von Ländern vom Süd-Westen in den Nord-Osten Europas, die hierbei über dem europäischen Durchschnitt liegen.
„Die digitale Diagonale weist Länder aus, die bei ihrem Ausbau von eGovernment-Angeboten kontinuierlich Fortschritte machen. In einem grenzüberschreitenden digitalen Markt dürfen jedoch die restlichen Länder nicht abgehängt werden. Das gilt auch innerhalb Deutschlands, wo unsere föderale Struktur ähnliche Entwicklungen produzieren könnte“, sagt Marc Reinhardt, Leiter Public Sector bei Capgemini in Deutschland, einem der Mitautoren der Studie für die Europäische Kommission.
Aufschließen statt abhängen: Digitale Diagonale läuft durch Europa
Seit 2001 untersucht die Europäische Kommission, wie öffentliche Dienste in Europa „doppelt so gut, in der Hälfte der Zeit, für die Hälfte der Kosten“ transformiert werden können. Der Gesamtdurchschnitt des aktuellen Benchmarks von 34 teilnehmenden Ländern zeigt eine vorsichtige Beschleunigung in der Umsetzung von eGovernment-Angeboten.
Der Benchmark bewertet vier aus der digitalen Agenda der EU abgeleitete Indikatoren:
- wie verfügbar und nutzerfreundlich öffentliche eServices sind (Nutzerzentriertheit),
- wie sich Servicevorgänge gestalten (Schlüsseltechnologien),
- wie die Kontrolle der Nutzer über ihre persönlichen Daten aussieht (Transparenz) und
- wie verfüg- und nutzbar grenzüberschreitende Services für Bürger und Unternehmen sind (grenzüberschreitende Mobilität).
Im Zeitverlauf haben sich Werte in allen bisherigen Benchmarks positiv entwickelt. Und doch wird die Schere zwischen der digitalen Diagonale, also den Wegbereitern der digitalen Verwaltung mit Island, Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Deutschland, Österreich, der Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, und den restlichen europäischen Ländern größer.
Fortschritte bei elektronischer Steuererklärung und Authentifizierung
Die vier zentralen Indikatoren werden jährlich wechselnd anhand von insgesamt sieben konkreten Lebenslagen für Unternehmen und Bürger untersucht, die eine Interaktion mit öffentlichen Stellen notwendig machen. Aktuell analysiert wurden regelmäßige Verwaltungstransaktionen von Unternehmen, Nutzung eines Kfz, Umzug sowie Verfahren zur Erhebung geringfügiger Forderungen.
Die Studie zeigt, dass sich Online-Dienstleistung im Steuerbereich und die elektronische ID europaweit am schnellsten entwickeln. Die hier weitestgehend sehr gut umgesetzten Serviceangebote umfassen unter anderem eGovernment-Angebote zur Körperschaftssteuer, Mehrwertsteuererstattung und Bußgeldverfahren.
Deutschland: Fortschritt bei Transparenz, Nachholbedarf bei Nutzerorientierung
Deutschland konnte im europäischen Vergleich den größten Entwicklungssprung im Bereich der transparenten Verwaltung nachweisen – für Unternehmen vor allem bei regelmäßigen Verwaltungstransaktionen und für den Bürger beim Umzug.
Nachholbedarf gibt es weiterhin bei der Nutzerzentriertheit, wo Deutschland unter dem EU-Durchschnitt im hinteren Mittelfeld liegt. Bemängelt werden vor allem die geringe Benutzerfreundlichkeit sowie der benötigte Zeitaufwand zur Erledigung der Online-Services durch die Anwender in den vier untersuchten Lebenslagen.
„Transparenz schafft Vertrauen und Vertrauen ist eine Voraussetzung für die Nutzung von eGovernment-Angeboten. Hier hat Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich zugelegt, auch dank Transparenzgesetzen wie in Hamburg und Bremen. Positiven Einfluss hat sicher auch die langsam zunehmende Verbreitung von Open Government Ansätzen. Fortschritte im Bereich der Portale und Servicekonten verbessern unsere Werte sowohl bei Transparenz als auch bei der Nutzerfreundlichkeit“ fasst Reinhardt zusammen.
Grenzüberschreitende Angebote: Kluft zwischen Service für Unternehmen und Bürger
Ähnlich verhält es sich im Bereich „grenzüberschreitende eGovernment-Angebote“. Die Angebote für Unternehmen sind hier sehr viel breiter und besser als für die Bürger umgesetzt. Diese Kluft ist über die Jahre in allen untersuchten Staaten größer geworden. Erklärung hierfür ist, dass vor allem bei Transaktionen zwischen staatlichen Einrichtungen und Unternehmen (Business2Government-Transaktionen) die Fallzahlen höher und die Professionalisierung auf beiden Seiten ausgereifter sind, was die technische Umsetzung einfacher macht.
Marc Reinhardt kommentiert die Parallelen in Deutschland und Europa so: „Die Nutzerorientierung ist überall in Europa im Fokus, und trotzdem oft noch schwach ausgeprägt. Ich begrüße daher die aktuellen deutschen Vorstöße von Bund und Ländern, die zunehmend auf den direkten und wahrnehmbaren Nutzen der Nutzer abzielen. Wir haben jahrelang Fundamente gelegt – nun ist es an der Zeit, auf ihnen auch mehr nützliche Services zu errichten. Sind die Fundamente so stabil wie in Deutschland gelegt – wie sich an den aktuellen Ergebnissen abzeichnet – kann die Aufholjagd umso schneller sein.“