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Start-ups im Automobilsektor: Reizvoll für etablierte Autobauer

Im deutschen Automobilsektor locken Start-ups verstärkt etablierte Autohersteller als Investoren an. Seit 2011 konnten Gründer hierzulande über 300 Millionen US-Dollar an Kapital generieren.  Mit dem Know-how-Transfer wollen die OEMs auch die Attacken neuer Marktteilnehmer abwehren, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Geschäftsmodelle neu definieren – vom Vermittlungsdienst Uber bis zum Elektroauto-Pionier Tesla.

Quelle: Oliver Wyman

Das zeigt eine Analyse der Managementberatung Oliver Wyman. Eine zentrale Herausforderung für die Autobauer laute nun, die Lösungen der Start-ups reibungslos in das eigene Angebot zu integrieren – sonst drohen Imageschäden. Trotz hoher Qualitätsmaßstäbe seitens der OEMs gelte es, die Innovationskultur der Gründer zu erhalten und möglichst auf die eigene Organisation zu übertragen.

Neue Schnittstellen zum Kunden

Smarte Parkplatzsuche, Stauprognosen, Benzinspar-Trainer: Die dahinter stehenden Lösungen für mehr Komfort, Sicherheit und Effizienz haben häufig Start-ups entwickelt. Über Beteiligungen sichern sich die Autohersteller aber nicht nur Zugang zu den technischen Innovationen – es geht bei integrierten Diensten um weit mehr: „Über ihre Apps schaffen die Start-ups auch neue Schnittstellen zum Kunden, auf die die OEMs zugreifen wollen“, erklärt Matthias Bentenrieder, Partner bei Oliver Wyman.

Zwar sei die Zahl der Neugründungen im Automobilsektor international leicht rückläufig. Doch die Start-ups können sich über einen rasant wachsenden finanziellen Einsatz freuen: „Weltweit ist die Höhe der Investitionen in den vergangenen vier Jahren exponentiell gestiegen“, erläutert Bentenrieder. Die Start-ups lockten allein im ersten Halbjahr 2016 rund 16,3 Milliarden US-Dollar an – etwas mehr als im gesamten Jahr zuvor (16,1 Milliarden US-Dollar). Neben Autoherstellern investieren auch IT-Konzerne wie Apple oder Investmentbanken in die Mobilitätsbranche.

Gründungswelle seit der Jahrtausendwende

Der aktuelle Finanzierungsboom folgt der Gründungswelle seit Anfang des Jahrtausends. Seit dem Jahr 2000 entstanden laut Analyse in der Automobilbranche weltweit über 1.000 Unternehmen. „Eine solch hohe Zahl hat es im Automobilsektor seit den Pionierjahren ab Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gegeben“, sagt Andreas Nienhaus, Principal bei Oliver Wyman. „Im Schnitt wurde pro Woche ein Mobility-Start-up gegründet.“ In Deutschland war es immerhin eines im Zwei-Monats-Takt. Die Automobil-Start-ups lockten weltweit über 50 Milliarden US-Dollar Kapital an. Allerdings entfielen 60 Prozent davon auf nur fünf junge Firmen. Mit Uber und Lyft (beide USA), DiDi (China) und Ola (Indien) sind vier von ihnen Vermittlungsplattformen. Als einziger Vertreter einer Green-Vehicle-Technologie ist der Elektroauto-Spezialist Tesla (USA) in den Top Five vertreten.

Deutschland liege bei der Zahl der Neugründungen in der Automobilbranche zwar vor Frankreich und Indien, aber noch hinter China, den USA und Großbritannien. Seit dem Jahr 2011 sicherten sich hierzulande 127 Start-ups Investitionen in Höhe von 316 Millionen US-Dollar. 45 Prozent davon flossen in junge Firmen, die Mobilitätsdienstleistungen anbieten. Fast die gleiche Summe ging an Gründer im kapitalintensiveren Green-Vehicle-Segment – dazu zählen beispielsweise Fahrzeuge mit Elektro- oder Brennstoffzellenantrieb. Da hier aber weniger Start-ups aktiv seien, erhielten die Gründer im Schnitt viermal so viel Kapital wie die Mobilitätsdienstleister. Bei Green-Vehicle-Technologien setzen deutsche OEMs bislang vor allem auf ihre eigene Kompetenz bei Forschung und Entwicklung. Die Hürden für Newcomer sind entsprechend hoch.

Vorsprung für Mobilitäts-Start-ups

Anders ist die Situation bei den Anbietern von neuen Mobilitätsdienstleistungen. „Die schwerfälligen Autobauer können die agilen und skalierbaren Strukturen der Start-ups nur bedingt abbilden“, sagt Nienhaus. „Autobauer investieren daher eher in junge Unternehmen, als die Themen intern auszubauen.“ Kooperation mit Start-ups könnten den OEMs auch dabei helfen, ihre eigene Innovationskultur zu verbessern, so Nienhaus weiter – etwa in Bezug auf unternehmerisches Denken der Mitarbeiter.

Dank ihrer Finanzstärke zählen deutsche OEMs bei Automobil-Start-ups zu den wichtigsten Investoren. So ist Daimler über das Startup Autobahn aktiv, BMW über i Ventures. Der anfängliche Trend zum Trial and Error bei den vergleichsweise günstigen Investitionen in junge Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen sei inzwischen abgeklungen: „Das Geld wird nicht mehr mit der Gießkanne verteilt, sondern gezielt in zukunftsträchtige Lösungen investiert“, sagt Bentenrieder. Dies führt dazu, dass das eingesammelte Kapital eines Mobilitäts-Start-ups in 90 Prozent der Fälle unter 100 Millionen Euro liegt.

Oliver Wyman prognostiziert, dass die Einnahmen durch Mobilitätsdienstleitungen bis 2025 weltweit um das Dreifache steigen werden. In diesem Segment ist die Mehrheit der Automobil-Start-ups aktiv. Auch in Deutschland setzen die meisten Gründer auf Mobilitätsdienstleistungen (60 %), gefolgt von Lösungen für vernetzte und autonome Fahrzeuge (14 %), Green Vehicles (14 %) und Aftersales (12 %). Mit dem Vertriebsspezialisten Auto1 Group gibt es hierzulande aber erst ein sogenanntes „Unicorn“ – also ein Unternehmen mit einem Wert von über einer Milliarde Euro.

Im nächsten Schritt müssen die OEMs die Mobilitätslösungen der Start-ups in ihre eigene Markenwelt integrieren. „Die größte Herausforderung ist dabei, die von den Kunden erwarteten Qualitätsstandards bei Neuwagen auch auf App-basierte Angebote auszuweiten“, erklärt Nienhaus. „Wenn eine App abstürzt, akzeptieren Kunden dies heute zähneknirschend. Wenn jedoch das Navi im Auto für ein paar Minuten den Geist aufgeben sollte, ist dies nicht hinnehmbar.“

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