In den kommenden Jahren werden sich Unternehmen so stark verändern wie seit 50 Jahren nicht mehr. Das am Shareholder Value orientierte Leadership-Modell hat sich weitgehend überlebt. Der Shareholder Value wird in Zukunft das Ergebnis einer guten Unternehmensstrategie sein, nicht mehr deren Ziel. Auch das interne Ziel einer Organisation, die besten Mitarbeiter zügig zu Führungskräften zu entwickeln, verliert an Bedeutung. Stattdessen stellt das Unternehmen der Zukunft den Kunden in den Mittelpunkt allen Handelns, setzt auf eine neue Generation an Mitarbeitern, kooperiert stark mit anderen Firmen und nutzt die Chancen der Digitalisierung. Dies sind Ergebnisse der aktuellen Studie „The Firm of the Future“ der internationalen Managementberatung Bain & Company.
Angesichts des schnellen technischen Wandels und neuer, disruptiver Geschäftsmodelle suchen Unternehmen allerorts nach Wegen, wie sie schneller, innovativer und zukunftsfähiger werden können. Gleichzeitig stehen immer mehr junge Mitarbeiter den traditionellen Karrierepfaden skeptisch gegenüber. Sie wollen eine erfüllende, herausfordernde Arbeit – und zwar in einem Umfeld, das ihren Werten und Prinzipien entspricht.
Die Bain-Studie will klare Anhaltspunkte liefern, wie Firmen in der digitalen Welt von morgen aussehen müssen. „Das Unternehmen der Zukunft ist sehr schlank, weitgehend selbstorganisiert und stark vernetzt mit anderen Firmen“, erklärt Walter Sinn, Deutschlandchef von Bain & Company. „Neben seinem aktuellen Geschäftsmodell entwickelt es parallel ein zweites oder drittes für die Zukunft.“
Wie sieht sie aus, die Firma der Zukunft? Diese Entwicklungen bestimmen laut Bain die nächste Generation von Unternehmen:
Kundenservice und Größe sind kein Widerspruch mehr
Unternehmensgröße bedeutete bisher mehr Ertrag und höhere Profitabilität durch Skaleneffekte. Sie stand zugleich aber auch für eine geringere Kundenzufriedenheit. Für kleine Unternehmen galt das genaue Gegenteil. Diese Unterschiede sollen durch digitale Technologien mehr und mehr aufgehoben werden. So seien kleine Firmen heutzutage in der Lage, ihre Größennachteile durch Outsourcing oder über Plattformen wie Amazon Web Services auszugleichen. Großen Unternehmen wiederum sei es durch neue Technologien und Analysetools möglich, die Erwartungen ihrer Kunden schneller und genauer zu erkennen. Um allerdings dann auch handlungsfähig sein zu können, sei Reaktionsgeschwindigkeit vonnöten. Zugleich bräuchten die Mitarbeiter an der Kundenschnittstelle ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit.
Selbstorganisation lautet das neue Credo
In jedem Unternehmen gebe es Gruppen von Mitarbeitern, die direkten Wert für den Kunden schaffen. Damit besetzen sie erfolgskritische Funktionen. In Zukunft sollen Unternehmen deutlich stärker als bisher um diese erfolgskritischen Funktionen herum organisiert sein. Agile Methoden wie Scrum sollen dafür sorgen, dass Firmen innovativer werden und schnell auf Markveränderungen reagieren können.
Projektteams arbeiten selbstorganisiert, entwickeln Produkte autonom und treffen eigenständig alle anfallenden Entscheidungen. Das bedeute höhere Geschwindigkeit und kurze Kommunikationswege. Das mittlere Management entfalle weitgehend, mit ihm verschwinde auch das klassische Karrierebild der „Leiter nach oben“. Die verbliebenen Führungskräfte konzentrieren sich auf effiziente Verwaltung und Mitarbeiter-Coaching.
Netzwerke sparen Kapital und streuen Risiken
Das digitale Zeitalter soll die Ära von Sharing, Plattformen, Allianzen, Kooperationen und virtuellen Teams werden. Das reduziere den eigenen Investitions- und Managementbedarf. So entstehen vielfältige Kooperationen, um gemeinsam zu forschen, zu produzieren oder zu vermarkten. „Für das Top-Management heißt das, sich darüber klar werden zu müssen, was das Unternehmen in Zukunft in Eigenregie machen soll und kann“, so Sinn.
Gewinnbringende Partnerschaften mit anderen Unternehmen seien das A und O. Diese Partner können auch Zulieferer, Kunden oder Wettbewerber sein. Um reibungslos zu funktionieren, müsse dieses Geflecht aktiv gemanagt werden. Entsprechend sei dies in Zukunft eine wesentliche Kompetenz von Unternehmen. Paradox dabei sei: Firmen mit einer starken Kultur, einer klaren Mission und einem strengen Fokus auf ihre erfolgskritischen Funktionen seien oft die schlechtesten Partner.
Unternehmensfinanzierung wird vielschichtiger
Investoren denken immer langfristiger. So haben Private-Equity-Unternehmen weltweit ihren Investitionshorizont von 4,5 Jahren (2006) auf 6 Jahre (2016) deutlich erweitert. Auch Aktiengesellschaften würden künftig vermehrt langfristige Ankerinvestoren suchen. Zudem werde es immer mehr Investoren geben, deren spezifisches Risikoprofil sie gezielt in Projekte investieren lasse statt in das Unternehmen selbst. Dadurch würden die Grenzen zwischen Eigen- und Fremdkapital zunehmend verschwimmen. Insgesamt soll es in Zukunft eine größere Bandbreite sowohl an Investoren als auch an Investitionsformen geben.
Immer ein neues Geschäftsmodell in der Hinterhand
Die Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells führe zu kleineren, schrittweisen Veränderungen. Durchbrüche seien hingegen nur mit neuen Geschäftsmodellen möglich. Wer für die Zukunft gerüstet sein wolle, müsse einen wahren Balanceakt schaffen. Es gelte das aktuelle Geschäftsmodell zu erhalten, mit dem derzeit das Geld verdient wird, und gleichzeitig ein neues Geschäftsmodell aufzubauen, das die Erträge von morgen sichert.
„Für ein erfolgreiches Vorankommen reicht ein Motor allein künftig nicht mehr aus“, betont Sinn. „Zwei Motoren indes heißt, parallel zwei Ansätze zu verfolgen, nämlich die konventionelle Weiterführung des bestehenden Geschäfts und den kreativen, mutigen Sprung ins kalte Wasser.“
Dabei müsse das Management entscheiden, ob sich das Neue zunächst als externes Unternehmen aufbauen lässt oder ob es innerhalb des Stammhauses entwickelt werden kann. Wichtig sei, dass das Stammunternehmen das neue Geschäftsfeld propagiere und zu einem passenden Zeitpunkt wieder integriere.
Langfristiges Denken und flexible Organisation
Das Unternehmen der Zukunft denke nicht in Quartalserträgen, sondern in Renditechancen über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren hinweg. Gleichzeitig sollen zentrale strategische Erfolgsrezepte auch in der digitalen Geschäftswelt von morgen gültig bleiben. Dazu gehören etwa eine überlegene Kostenposition, ein einzigartiges Kundenerlebnis oder die Kontrolle über einen Industriestandard. Radikal verändern werde sich jedoch die Umsetzung von Strategien. Dabei werde die Anpassungsfähigkeit der Firmen von zentraler Bedeutung sein und in den nächsten Jahren über ihre Zukunft entscheiden. Für Sinn steht fest: „Je besser und je schneller sich ein Unternehmen anpassen kann, desto erfolgreicher wird es sein.“