Die digitale Transformation zählt aktuell in fast zwei Drittel der deutschen Unternehmen ab 250 Millionen Euro Jahresumsatz zu den drei wichtigsten Firmenzielen. Im Vorjahr waren es erst 50 Prozent, 2016 nur 41 Prozent. Zugleich verbessert sich die Selbsteinschätzung: Sahen sich im Vorjahr erst ein Drittel der Unternehmen „sehr gut“ oder „gut“ bei der Digitalisierung aufgestellt, sind es jetzt 42 Prozent.
Die Resultate der zum dritten Mal mit der GfK durchgeführten repräsentativen Studie geben dennoch Anlass zur Sorge: „Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Diskrepanz zwischen Eigenwahrnehmung der deutschen Unternehmen und den realen Herausforderungen durch die Digitalisierung “, resümiert Philipp Depiereux, Gründer und Geschäftsführer von Digitalberatung und Company Builder etventure.
Wandel der Branche, aber nicht im eigenen Unternehmen
Dies spiegelt sich auch in den weiteren Ergebnissen der repräsentativen Studie von etventure und GfK wider: So versteht die Mehrheit der befragten Entscheider in deutschen Großunternehmen unter digitaler Transformation primär nur die „Digitalisierung des bestehenden Geschäftsmodells beziehungsweise bestehender analoger Prozesse“ (55 %). Nur halb so viele (28 %) nennen dagegen den „Aufbau neuer digitaler Geschäftsmodelle“.
Gleichzeitig sieht annähernd jedes zweite Unternehmen (49 %) die eigene Branche einem „starken“ oder sogar „sehr starken“ Wandel ausgesetzt. Doch gerade einmal jedes fünfte Unternehmen (21 Prozent) sieht einen ebenso starken Wandel auch beim eigenen Geschäftsmodell voraus.
Dazu Depiereux: „Diese Ergebnisse zeigen, dass zwar viele Unternehmen erste Digitalinitiativen gestartet haben, aber nicht über den inkrementellen Bereich hinauskommen. Wer nur den Fokus auf das bestehende Geschäft legt oder gar nur die IT optimiert, gefährdet die eigene wirtschaftliche Zukunft und Arbeitsplätze. Es geht darum, neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, die dem technologischen Wandel ebenso wie den sich verändernden Kundenbedürfnissen gerecht werden. Unternehmen müssen ihr eigenes Geschäftsmodell kritisch hinterfragen und mitunter selbst disruptiv angreifen. An dieser Stelle besteht in Deutschland noch enormer Nachholbedarf.“
Tech-Konzerne werden stark unterschätzt
Zudem glauben laut Studie sechs von zehn Unternehmen, dass sie in den kommenden drei Jahren auch ohne jegliche Maßnahmen zur digitalen Transformation keine Umsatzeinbußen befürchten müssen.
Außerdem richtet sich der Blick der Unternehmen noch immer vorwiegend auf die Konkurrenz aus der eigenen Branche: Gerade einmal 22 Prozent sehen in Tech-Konzernen wie Google oder Amazon die größte Wettbewerbs-Bedrohung der Zukunft und lediglich 7 Prozent nehmen Start-ups als ernsthafte Konkurrenz wahr. Und generell werden die Auswirkungen der digitalen Transformation nach Auffassung der Hälfte der befragten Unternehmen (51 Prozent) frühestens in drei Jahren sichtbar.
„Die Tech-Unternehmen und Start-ups sind heute die gefährlichsten Angreifer. Beispiele wie Netflix, Uber oder AirBnB zeigen, wie digitale Quereinsteiger mit neuen Geschäftsmodellen die Kundenschnittstelle besetzen und innerhalb kürzester Zeit ganze Industrien ins Wanken bringen können”, so Depiereux. „Was bislang vor allem die B2C-Branche erfahren musste, droht auch anderen, klassischen Industrien. Die Traditionsunternehmen aus dem B2B-Bereich müssen sich die Erfolgsrezepte der digitalen Player – Schnelligkeit, Daten-Kompetenz und kundenzentrierte Methodik – zu eigen machen, wenn sie nicht Stück für Stück vom Markt verdrängt werden und die Schnittstelle zum Kunden verlieren wollen.“
Haupthindernis: Verteidigung bestehender Strukturen
Die Studie zeigt auch, warum Großunternehmen in Deutschland die Umsetzung der digitalen Transformation noch immer schwerfällt. Als größte Hürde wird „die Verteidigung bestehender Strukturen“ durch die Mitarbeiter im Unternehmen genannt (58 %), gefolgt von „mangelnder Erfahrung bei nutzerzentriertem Vorgehen“.
Ein von Jahr zu Jahr wachsendes Hemmnis stellen zudem blockierende Sicherheitsanforderungen dar: Nannten 2016 erst etwa ein Drittel der Unternehmen dieses Argument und waren es 44 Prozent in 2017, klagt jetzt schon von fast jede zweite Firma darüber. Hinzu kommen Zeitmangel, fehlende Flexibilität und Geschwindigkeit sowie zu viele Entscheidungsebenen, die einer schnellen Digitalisierung im Wege stehen.
Somit kämpfen die deutschen Großunternehmen weiterhin mit den gleichen internen Hemmnissen, obwohl das Thema Digitalisierung mittlerweile im Großteil der Unternehmen (68 %) von der Chefetage gesteuert wird – direkt durch den Geschäftsführer oder CEO, zumindest aber aus einem Geschäftsführungs- oder Vorstandsbereich heraus. Erst jede siebte Firma hat hingegen einen Chief Digital Officer (CDO) ernannt, der die digitale Transformation hauptverantwortlich im Unternehmen steuert.
Unternehmen mit externen Digital-Einheiten sind die Ausnahme
Für die Umsetzung der digitalen Transformation setzen die befragten Unternehmen zunehmend auf die Einrichtung eines firmeneigenen Digital-Labors: Fast jedes zweite befragte Unternehmen verfügt heute schon über eine eigene interne Digital-Einheit. Im Vorjahr waren es erst 33 Prozent und 2016 erst 30 Prozent.
„Dieses Ergebnis, einhergehend mit den genannten Hemmnissen, bestätigt unsere jahrelange Erfahrung, dass Innovationen im Sinne neuer digitaler Geschäftsmodelle niemals innerhalb eines Unternehmens erfolgreich entwickelt werden können“, erläutert Depiereux. „Um die Bewahrungskräfte im Unternehmen zu umgehen, empfehlen wir die Gründung einer Digital-Einheit außerhalb der Kernorganisation. Dort können Innovations- und Digitalprojekte unabhängig von der Unternehmens-Bürokratie, von Compliance-Bedenken, juristischen Fragen und ähnlichen Hindernissen entwickelt werden. In diesem “geschützten Raum” kann dann auch eine neue Herangehensweise – weg von einer ingenieursgetriebenen Entwicklung, hin zu einem schnellen und radikal nutzerzentrierten Vorgehen – konsequent verfolgt werden.“ Den Schritt, die Digital-Einheit aus dem Unternehmen auszugliedern und damit fernab der Kernorganisation als externes Tochterunternehmen aufzubauen, wählen tatsächlich nur 8 Prozent der Unternehmen.
Note 3,3 für den digitalen Wirtschaftsstandort Deutschland
Für die Studie sollten die deutschen Großunternehmen nicht nur ihre eigene Digitalisierung und die ihrer Branche einschätzen, sondern auch den digitalen Fortschritt in Deutschland insgesamt bewerten. Deren Urteil fällt kritisch aus: So vergeben die befragten Entscheider für die Digitalisierung in Deutschland im Durchschnitt nur eine Zeugnisnote von 3,3. Lediglich jedes fünfte Unternehmen sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland „sehr gut“ oder „gut“ aufgestellt. Dagegen bewerten 25 Prozent die Digitalisierung hierzulande als „ausreichend“, 13 Prozent gar als „mangelhaft“.
Großen Nachholbedarf sehen die befragten Unternehmen vor allem bei den politischen Themen Breitbandausbau, digitale Bildung im Rahmen der Schulausbildung, bei der Digitalisierung der Verwaltung sowie bei der Förderung und Entwicklung digitaler Schlüsseltechnologien.
Methodik: Für die Studie „Digitale Transformation 2018 – Hemmnisse, Fortschritte, Perspektiven“ wurde durch die GfK eine telefonische Befragung unter rund 2.000 Großunternehmen in Deutschland ab 250 Mio. Euro Jahresumsatz repräsentativ durchgeführt.