Digitalisierung und On-Demand-Formate haben die TV- und Videobranche in kurzer Zeit stark verändert. Wie geht die Entwicklung weiter? Deloitte hat vier Zukunftsszenarien mit ganz unterschiedlichen Gewinnern und Verlierern entworfen.
20.15 Uhr – eine Tageszeit, die jahrelang der Fixpunkt der TV-Unterhaltung war, verliert immer mehr ihre Bedeutung. Die TV- und Videobranche hat in kurzer Zeit einen drastischen Wandel erlebt. „Vor allem On-Demand-Videos haben das Verbraucherverhalten radikal verändert“, bestätigt Klaus Böhm, Leiter des Bereichs Media & Entertainment bei Deloitte.
„Konsumenten erwarten, dass relevante und attraktive TV- und Videoinhalte jederzeit und überall abrufbar sind – und zwar in dem Format, das ihren aktuellen Bedürfnissen am besten entspricht.“ Diesen neuen Ansprüchen der Kunden werden derzeit vor allem die großen Streamingplattformen gerecht. Altersübergreifend nutzen mittlerweile 44 Prozent der Deutschen mindestens einmal pro Woche Video-On-Demand-Abonnements, ein Anstieg von über 80 Prozent gegenüber 2016. Viele TV-Sender haben mittlerweile mit einem breiten Mediatheken-Angebot auf die Online-Konkurrenz reagiert.
Doch bei den jungen Zuschauern habe die Wachablösung bereits stattgefunden: Bei den unter 25-Jährigen erfreuen sich vor allem Short-Form Videos großer Beliebtheit, 57 Prozent schauen täglich solche Formate auf Plattformen wir YouTube. 45 Prozent der jungen Verbraucher nutzen täglich Video-On-Demand-Abos, während nur noch 42 Prozent jeden Tag Fernsehen schauen.
Erleben wir eine Disruption der Branche? Werden Netflix, Amazon, Apple und Google die traditionellen TV-Sender verdrängen? Die sich schnell ändernde Marktlandschaft und die fortschreitende Diversifizierung machen langfristige Zukunftsprognosen schwierig.
Mediennutzung wird mobiler und flexibler
„Deshalb haben wir für die Deloitte-Studie zu den Zukunftsszenarien für die TV- und Video-Branche 2030 einen ganzheitlichen Ansatz gewählt und blicken mithilfe eines Szenariodesigns über den üblichen Planungshorizont von drei bis fünf Jahren hinaus“, erklärt Böhm. Für die Studie „The future of the video and TV landscape in 2030” hat Deloitte eine Reihe von Faktoren identifiziert, die die Zukunft der Branche bestimmen werden.
Allen voran sei hier die Digitalisierung zu nennen. Schnelle Glasfasernetze und 5G ermöglichen eine flexiblere und mobilere Nutzung von Medieninhalten. Datenanalyse und künstliche Intelligenz werden Empfehlungsfunktionen verbessern. Zudem werde sich Video-on-Demand in der Breite durchsetzen. Dennoch soll sich das lineare Fernsehen auch in Zukunft behaupten können, vor allem mit Live-Inhalten, denn das Finale einer Fußball-WM wollen noch immer die meisten Fans in Echtzeit mitverfolgen können.
Die Zukunft der Branche verspreche dennoch ein hohes Maß an Dynamik: Neue und bestehende Akteure sollen sich entlang der Wertschöpfungskette in einem teilweise konsolidierten globalen Markt neu positionieren.
Vier Zukunftsszenarien für 2030
Das Ergebnis der Analyse von Deloitte sind vier mögliche Zukunftsszenarien der TV- und Videobranche für das Jahr 2030. In jedem Szenario steht ein anderer Akteur im Zentrum, der die Branche entscheidend prägt.
1. Universal Supermarket: In diesem Szenario dominieren die großen digitalen Plattformen den globalen Markt in allen Teilen der Wertschöpfungskette. Sie sind Content-Produzenten, -Besitzer und -Distributoren. Die TV-Sender spielen nur noch eine Rolle bei der Produktion von nationalen Inhalten, an der Distribution sind sie nicht beteiligt. Die Verbraucher haben eine große Auswahl an globalen und nationalen Inhalten, Unterschiede zwischen den Anbietern gibt es nur noch bei einigen exklusiven Produktionen und Sportrechten – wie in den großen Supermärkten, wo sich die einzelnen Anbieter auch nur noch durch Details unterscheiden.
2. Content Endgame: Die über 20 Jahre alte Prophezeiung von Microsoft-Gründer Bill Gates wird wahr: „content is king“. Die großen Gewinner dieses Szenarios sind die Content-Besitzer. Die Rolle der digitalen Plattformen hat einen fundamentalen Wandel durchlaufen. Sie dienen fast ausschließlich der Distribution, allerdings zahlen die Verbraucher nicht mehr für einen bestimmten Anbieter, sondern direkt für die Inhalte, die sie sehen wollen. Insgesamt hat sich die Vielfalt des Contents verringert, die Qualität der globalen Angebote erreicht dagegen neue Dimensionen.
3. Revenge of the Broadcasters: Die TV-Sender haben die Digitalisierung gemeistert und sind in der Lage, großflächig On-Demand-Inhalte anzubieten und die Verbraucher mit smarten Empfehlungen zu versorgen. Neben den Sendern haben auch die digitalen Plattformen weiterhin ihren Platz am Markt. Während sich Erstere auf lokale Inhalte mit hoher Qualität konzentrieren, liefern die Plattformen internationale Produktionen und Blockbuster. Verbraucher genießen ein reichhaltiges Content-Angebot und können zwischen linearen und On-Demand-Formaten wählen.
4. Lost in Diversity: Der TV- und Videomarkt hat sich zu einem ausdifferenzierten Ökosystem ohne dominanten Akteur entwickelt. Konsumenten werden von zahlreichen, verschiedenen Plattformen mit einer entsprechend großen Content-Vielfalt bedient. Mangelnde Loyalität der Nutzer treibt die Anbieter in einen harten Überlebenskampf.
Technologie ist zu einem Kernelement geworden
So unterschiedlich die vier Zukunftsszenarien auch sein mögen, lassen sich aus ihnen dennoch übergreifende Implikationen ableiten, die für alle Marktteilnehmer relevant sein werden. Schon die Veränderungen der letzten Jahre zeigen: Auf etablierten Marktpositionen kann sich niemand mehr ausruhen. Als klug erweisen könnte sich hier, wenn sich Sender und Content-Produzenten für neue Allianzen und Kooperationen – auch mit direkten Konkurrenten – öffnen. Gemeinsame Produktion, Vertriebsmodelle oder gar Plattformen sind geeignete Maßnahmen, um der Bedrohung durch die digitalen Plattformanbieter wie Netflix, Amazon, Apple und Google zu begegnen.
„Der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit der heute etablierten Sender und Content-Produzenten ist der Ausbau der Digitalkompetenzen“, macht Alexander Mogg, Partner und Medienexperte bei Deloitte, deutlich. „Technologie ist zu einem Kernelement ihrer Geschäftsmodelle geworden. Für die Konsumenten geht es in erster Linie um attraktive Inhalte, doch um diese in einer digitalisierten Zeit zu produzieren und mit ihnen am Ende auch die Kunden zu erreichen, sind erstklassige technologische Angebote unerlässlich.“