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Digitales Deutschland: Gewaltiger Nachholbedarf bei Ärzten, Behörden und Mobilitätsangeboten

Beim Thema Digitalisierung klaffen in vielen Bereichen in Deutschland große Lücken – und die Bemühungen der Politik gehen oft an den Bedürfnissen der Bürger vorbei. Und in vielen Bereichen sind digitale Lösungen noch immer nicht im Alltag der Menschen angekommen.

Quelle: Civey

Laut einer gemeinsamen Studie des Marktforschungsunternehmens Civey und die Berliner Digitalberatung TLGG Consulting ist im Gesundheitssektor die Digitalisierung bislang kaum bei den Kunden angekommen. 80,9 Prozent der Befragten haben nach eigenen Angaben noch nie mit ihrem Arzt, Therapeuten oder Apotheker per E-Mail, Messenger oder Video-Telefonie kommuniziert. Noch deutlicher sind die Zahlen auf dem Land: Dort liegt die Zahl mit 84,9 Prozent am höchsten – obwohl die Dichte des Gesundheitsangebots niedriger ist als in Ballungsgebieten.

Vielen Ärzten fehle schlicht das Wissen, wie sie digitale Dienstleistungen implementierten, erklärt Gesundheitsexperte Matthias Mirbeth von TLGG Consulting. Dabei seien Ärzte heute längst Teil eines neuen Ökosystems mit aufgeklärteren Patienten und digitalen Lösungen. Doch bislang werde in Deutschland zu wenig über konkrete Produkte und Anwendungen nachgedacht, die Patienten zugute kämen. „Der Druck ist offenbar noch nicht groß genug“, so Mirbeth.

Ausbaufähig: Mobilitätslösungen auf dem Land

Auch die Debatte um neue Mobilitätslösungen geht an der deutschen Lebensrealität vorbei. So halten 76,6 Prozent der Bevölkerung den Besitz eines Autos noch immer für notwendig. Besonders hoch ist der Bedarf auf dem Land: 89 Prozent der Befragten können sich dort ein Leben ohne Auto nicht vorstellen. Es seien vor allem die Landräte, die den Wandel vorantreiben müssten, sagt Andreas Knie, Verkehrswissenschaftler an der TU Berlin: „Mobilität ist Kommunalpolitik.“ Die Politik in Deutschland sei aber noch immer im alten Denken „ein Bürger, ein Auto“ verhaftet. Sie müsse Anreize schaffen und Time-Sharing-Modelle und Elektroparkplätze stärker fördern, sagt auch Hannes Kunstreich von TLGG.

Die fehlenden Alternativen auf dem Land seien auch ein Problem hinsichtlich des Klimaschutzes, erklärt Verkehrsexperte Knie. „Gerade dort sind die Auslastungsraten besonders niedrig, oft sitzt nur eine Person im Auto.“ Doch die Umfrage zeigt: Die Umweltverträglichkeit spielt vor allem auf dem Land kaum eine Rolle bei der Wahl des Transportmittels. Nur 3,3 Prozent geben das als wichtigstes Kriterium an. In Städten, wo die Auswahl an Angeboten größer ist, haben Umweltkriterien mit 16 Prozent einen höheren Stellenwert.

Größter digitaler Verbesserungsbedarf bei Behörden

Besonders groß ist der digitale Nachholbedarf nach Ansicht der Deutschen bei Behörden. 54,9 Prozent der Befragten wünschen sich hier am ehesten einen Ausbau der bestehenden öffentlichen Angebote. 42,2 Prozent geben an, „weniger zufrieden“ oder „gar nicht zufrieden“ mit dem Online-Angebot ihrer Stadt zu sein. 17,5 Prozent haben bislang keinen Gebrauch von digitalen Behördengängen gemacht – auf dem Land sind es 19,1 Prozent.

Quelle: Civey

Lucas Gerrits, TLGG Consulting: „Den Kommunen fehlt häufig Personal, finanzielle Mittel und methodisches Know-how, um digitale Maßnahmen auszubauen.“ Vor allem in größeren Städten sei zudem häufig die Zuständigkeit unklar. Doch das mangelnde digitale Angebot schwäche das Vertrauen in den öffentlichen Sektor. „Die Bürger fragen sich zu Recht, warum es nur sechs Stunden dauert, bis ihr Amazon-Paket kommt, sie aber wochenlang auf Termine und Unterlagen in Papierform warten müssen.“

Um die Digitalisierung voranzutreiben, müssten die nötigen Strukturen und eine neue Kultur geschaffen werden. Eine Lösung sei es, Digitalstrategien mit Partizipation der Bürger zu entwickeln, um deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. „Digitalisierung darf kein Nischenprojekt für Nerds sein, sondern muss zu einem gemeinsamen Kommunalprojekt werden, damit sie funktioniert“, so Gerrits.

Methodik: Civey hat im Auftrag von TLGG Consulting rund 5.000 Personen befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.

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