Die Deutschen sind begeistert von Gesundheits-Apps. 81 Prozent der Bürgerinnen und Bürger glauben, dass vor allem Langzeiterkrankungen wie Diabetes mithilfe vernetzter digitaler Lösungen besser behandelt werden können. Beispielsweise ließen sich Medikamente exakter dosieren und Fehler durch ein automatisiertes Monitoring von Vital- und anderen Daten vermeiden, so die Auffassung in der Bevölkerung. Rund jeder zweite Patient ist allerdings mit dem aktuellen Angebot von Apps in der Praxis nicht zufrieden.
Laut der Studie „European Study on the Digitalisation of the Healthcare Pathways“ von Sopra Steria Consulting sind Patienten in Deutschland offen für die Unterstützung des Behandlungsverlaufs und Pflege durch digitale Lösungen. Das gelte auch für aus der Fitness- und Lifestylebranche bekannte Apps zur Optimierung von Bewegung und Ernährung. 59 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass sich durch den Einsatz vernetzter Geräte wie Smartwatches und die Auswertung von Bewegungs-, Ernährungs- und Schlafdaten durch Apps die Prävention und Behandlung von Krankheiten deutlich verbessern ließe.
App-Begeisterung ist groß – Nutzung ist gering
53 Prozent sehen zudem Potenzial für mehr Patientenorientierung und Services, beispielsweise wenn Ärzte Sprechstunden per Smartphone oder Tablet anbieten. Praktische Hilfen auf und mit dem Smartphone und der stärkere Einsatz von Wearables in der Behandlung sollten somit aus Sicht der Bevölkerung bei Digitalreformen im Gesundheitswesen eine Schlüsselrolle einnehmen.
„Dafür müssen sich jedoch die Rahmenbedingungen für die Zulassung, Finanzierung, Implementierung sowie die Nutzerfreundlichkeit weiter verbessern. Ziel sollte es sein, einen nachhaltigen Mehrwert für Patienten und das gesamte Gesundheitssystem zu schaffen“, sagt Dr. Tina Wulff, Senior Consultant Digital Healthcare bei Sopra Steria Consulting. 90 Prozent der Deutschen würden laut Studie Smartphone-Erinnerungen an Arzttermine und Hinweise zu möglichen Wechselwirkungen zwischen Medikamenten nutzen. 70 Prozent würden Lifestyle-Funktionen wie Diät-Tipps oder eine Sportberatung in Anspruch nehmen.
Das jedoch nur, wenn innovative nutzerfreundliche Lösungen zur Verfügung stünden. Gegenwärtig sind jedoch 52 Prozent der Befragten in Deutschland unzufrieden mit der derzeitigen Entwicklung von Monitoring-Apps, 60 Prozent mit den telemedizinischen Beratungsangeboten.
Die Folge: Bisher verwenden trotz App-Begeisterung nur elf Prozent der Deutschen Smartwatches und Apps, die ihren Lebenswandel und ihre Gesundheit monitoren. Acht Prozent führen beispielsweise regelmäßig digital Buch über Blutzuckerwerte und Bluthochdruck, um Krankheiten entgegenzuwirken.
Gesetzesinitiative zur App auf Rezept
Die Bundesregierung möchte die Nutzung von Gesundheits-Apps ebenfalls vorantreiben. Gesundheitsminister Jens Spahn hat ein entsprechendes Gesetz vorangebracht, über das der Bundestag im Herbst berät. Ab 2020 sollen Ärzte Apps verschreiben können, die Krankenkassen sollten dann die Kosten für ein digitales Diabetes-Tagebuch oder die Zyklusüberwachung zur Empfängnisverhütung über das Smartphone übernehmen. Dafür müssen die Hersteller den Patientennutzen innerhalb eines Jahres beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachweisen, und sie müssen Datensicherheit und Datenschutz gewährleisten.
In anderen Ländern sind Apps bereits Teil der Versorgungslandschaft. In Spanien gibt es beispielsweise mit „Diabetes Menú“ eine Diabetes-App auf Rezept. Sie wurde 3.000 Pilotpatienten verschrieben. Zuvor wurde die Software von Experten wissenschaftlich auf ihren Nutzen hin untersucht und von den Gesundheitsbehörden freigegeben. Insgesamt ist die Bevölkerung in Spanien zufriedener mit dem Entwicklungsstand von Gesundheits-Apps. Laut der Studie sind 41 Prozent der Spanier mit der App-Entwicklung und Nutzung im Gesundheitswesen in ihrem Land zufrieden, deutlich mehr als in den übrigen fünf untersuchten Staaten.
Entwicklungen mit validiertem Nutzen gesucht
„Der Markt und das Angebot von Gesundheits-Apps in Deutschland ist derzeit noch intransparent, oft wissen Patienten nicht, welche Apps für ihr Krankheitsbild zur Verfügung stehen, passend und wirksam sind“, so Dr. Wulff. „Den vielen Chancen und Möglichkeiten durch die Integration von Apps in den Behandlungsverlauf müssen auch immer auch die Evidenz ihrer Wirksamkeit gegenüberstehen, um Investitionen gezielt zu steuern. Entsprechende Studien sind oft langwierig. Auch Ärzten und Patienten fällt es zumeist nicht leicht, digitale Lösungen mit klassischen Aufzeichnungen zu vergleichen und den Mehrwert konkret zu beurteilen“, so Dr. Wulff.
Ärzte genießen größeres Vertrauen als Google & Co.
Die für die Studie befragten Gesundheitsexperten raten dazu, Apps mit deutlichem Nutzen für die Ärzteschaft gezielter zu fördern, damit diese ihre Skepsis überwindet und Patienten digitale Angebote verschreibt. Die Leistungserbringer gelten auch bei den großen Technologieanbietern Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM) als Schlüsselfiguren, um Gesundheits-Apps erfolgreich zu entwickeln und einzuführen – Mediziner, Krankenkassen und Apotheken genießen bei Patienten das größte Vertrauen. 72 Prozent der Befragten hören auf ihre direkten Ansprechpartner, wenn es um die Nutzung digitaler Anwendungen für die Behandlung von Krankheiten geht.
Zum Vergleich: Nur 39 Prozent vertrauen den Anbietern innovativer E-Health-Angebote, 25 Prozent würden dem Rat der GAFAM folgen. Nationale Initiativen „sollten diesen Trumpf ausspielen und basierend auf ihrer Expertise, datenschutzkonforme Apps aus dem Blickwinkel der Patienten und Leistungserbringer entwickeln, um eine »digitale Souveränität« zu behalten“, so Dr. Wulff.
Methodik: Für die Studie wurden 1.200 Bürger aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Norwegen und Spanien sowie 35 Gesundheitsexperten befragt.