Industrial IoT (IIoT) wurde in den letzten Jahren stark adaptiert. Insbesondere viele Industrieunternehmen in Deutschland haben das Potenzial für sich erkannt und in diversen Anwendungsfällen umgesetzt. Die aktuelle Wirtschaftslage bremst zwar die Pläne vieler Unternehmen momentan aus, von einem Erliegen oder Stillstand kann aber keinesfalls die Rede sein.
Die neue IDC-Studie „Industrial IoT in Deutschland 2021“ zeigt: Rund 39 Prozent der Unternehmen mit IoT-Plattformen im Einsatz bauen Business-Ökosysteme mit Innovationspartnern auf; technologische Entwicklungen bei Edge Computing, 5G und AI/ML fördern neue Anwendungsszenarien und IIoT-Adaption. Der aktuellen Situation geschuldet, stehe Optimierung mehrheitlich im Vordergrund, neue Geschäftsmodelle haben bisher nur knapp ein Viertel der Befragten umgesetzt und bleiben damit hinter ihren eigenen Planungen aus dem vergangenen Jahr zurück.
Die Corona-Pandemie und insbesondere der erste Lockdown in vielen Ländern weltweit hat vor allem die güterintensiven und exportierenden Branchen schwer getroffen. Dennoch zeigt die IDC-Studie: Fast 40 Prozent wollen wegen COVID-19 ihre Investitionen in IIoT – also die Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen, Werkzeugen und Produkten zur Erzeugung von Daten beispielsweise für Automatisierung und Analysen – erhöhen, lediglich 18 Prozent der Befragten planen sie zu senken. Aktuell sehen viele Unternehmen zentrale Vorteile im IIoT zur Bewältigung kurzfristiger Herausforderungen: 53 Prozent wollen Prozesse optimieren und Kosten sparen, 47 Prozent erhoffen sich bessere und schnellere Entscheidungen aufgrund genauerer Daten. Insgesamt planen 59 Prozent der Befragten neue Projekte – auch um den neuen Herausforderungen von COVID-19 zu begegnen.
Vernetzung mit externen Innovationspartnern
Wesentliche Mehrwerte biete IIoT durch intensive Vernetzung mit weiteren Datenquellen in der Produktion und anderen Abteilungen, zum Beispiel dem ERP oder dem CRM. 58 Prozent der befragten Unternehmen mit IoT-Plattformen haben diese für bessere Einblicke oder neue Services und Produkte bereits umfangreich oder in Pilotprojekten mit anderen IT-Systemen interner Abteilungen vernetzt.
„Großes Potenzial liegt aber auch darin, sich mit externen Partnern zu verbinden“, sagt Marco Becker, Senior Consultant und Projektleiter bei IDC. „Immer mehr Wertschöpfung wird digital und in Kooperationen mit anderen Unternehmen in Ökosystemen stattfinden – zunehmend auch zwischen komplett verschiedenen Branchen. Für die Schaffung neuer, gemeinsamer datenbasierter Geschäftsmodelle haben sich immerhin schon rund 39 Prozent der Nutzer von IoT-Plattformen umfassend oder in Pilotprojekten mit externen Innovationspartnern vernetzt.“
Edge Computing ermöglicht neue Anwendungen und Geschäftsmodelle
Um Teil von Ökosystemen zu werden, müssen Anwenderunternehmen vor allem relevante Daten erzeugen und in der Lage sein, diese über geeignete Lösungen und Schnittstellen mit Partnern teilen und kombinieren zu können. Edge Computing ist dafür aus Sicht von IDC aktuell die vielversprechendste Technologie und die Befragten teilen diese Meinung, denn rund 42 Prozent der Befragten haben Edge Computing produktiv oder in Pilotprojekten im Einsatz, weitere 29 Prozent haben Pilotprojekte geplant. Es ermöglicht Unternehmen aller Branchen, relevante Daten nicht nur direkt an Endpunkten zu erfassen, sondern auch an diesen zu empfangen und zu verarbeiten.
Beliebt seien beispielweise Tracking und Monitoring zur Optimierung des Asset-Einsatzes unter den befragten Fertigungsunternehmen, die Kommunikation unter Fahrzeugen im Bereich Automotive oder der Einsatz von autonomen Robotern in der Prozessfertigung bei für Menschen gefährlichen Prozessschritten. Für Ver- und Entsorger biete Edge Computing mit Remote Monitoring und Maintenance ausgesprochen hohes Potenzial wegen der teilweise riesigen Gebiete mit schwer zugänglichen Standorten (z. B. Strom- oder Rohrnetze) und auch Unternehmen aus Transport, Verkehr und Logistik generieren durch Edge Computing mittels Asset und Fleet Management einen hohen Mehrwert bei der Fahrzeug-, Güter- und Routenorchestrierung.
5G: Zusätzlicher Schub für IIoT und Edge Computing
Obwohl die Befragten mit 43 Prozent zum größten Teil kabelgebundene Verbindungen für ihre IIoT-Projekte nutzen, ist 5G der Technologiebaustein, der IIoT und insbesondere die Weiterentwicklung von Edge Computing am stärksten fördert. Seine verschiedenen Anwendungsprofile ermöglichten neue Einsatzszenarien am Edge: Beispielsweise dezentrale und großflächige Anwendungen mit hohen Performance-Anforderungen wie das autonome Fahren oder kleinflächige Anwendungen mit extrem hoher Gerätezahl wie eine automatisierte Fabrik.
Insgesamt setzen momentan bereits 13 Prozent der befragten Unternehmen 5G in Projekten und Pilotprojekten ein, weitere 46 Prozent planen es. 5G kann zudem von Unternehmen lizenziert oder dank Standards wie 5G NR-U unlizenziert genutzt werden, um ein privates Campus-Netzwerk zu realisieren. Viele Unternehmen, darunter einige DAX-Konzerne, haben bereits die 5G-Frequenzen für ihre Standorte lizenziert und auch viele der Studienteilnehmer – insgesamt 66 Prozent derjenigen, die 5G einsetzen oder in der Planung sind – wollen ein privates 5G-Netz aufbauen.
IoT und AI werden zum AIoT
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (AI/ML) sind momentan bei 49 Prozent der Befragten produktiv oder in Pilotprojekten im Einsatz. AI/ML profitiert von den Massen erzeugter Daten und leitet aus ihnen Maßnahmen und Vorhersagen ab. Für viele Anwendungsszenarien werde vor allem die Verschiebung der AI/ML-Algorithmen in die Endgeräte mithilfe von Edge Computing interessant – beispielsweise in Fahrzeuge oder Kameras und Computer-Vision- Systeme. Rund 11 Prozent der Befragten planen in Zukunft, ihre Betriebsdaten hauptsächlich direkt am Edge in AI/ML-Algorithmen zu verarbeiten. Das IoT werde dadurch zum Artifical Internet of Things (AIoT), das die unternehmensweiten Entscheidungen im zentralen Rechenzentrum um dezentrale Entscheidungen in den Endgeräten ergänzt.
Neue IoT-basierte Geschäftsmodelle: Tendenz steigend
Das Potenzial, neue Technologien wie Edge Computing und AI/ML auch zur Schaffung neuer Geschäftsmodelle zu nutzen, werde häufig noch nicht genutzt. Obwohl die vorausschauende Wartung ein häufig genutzter IIoT-Anwendungsfall im eigenen Betrieb ist, haben nur rund 27 Prozent der Befragten darauf basierend einen Service für ihren eigenen Kunden umgesetzt oder sind dabei einen solchen umzusetzen.
Ähnliches gelte für die Monetarisierung der eigenen Daten, die nur 25 Prozent umgesetzt haben oder aktuell umsetzen, beispielsweise anonymisierte Nutzungsdaten der eigenen Produkte in der Fertigung oder Umgebungsdaten wie Luftwerte bei Logistikunternehmen. Auch Product-as-a-Service-Geschäftsmodelle, bei denen nicht das Produkt verkauft wird, sondern die Nutzung des Produkts, beispielsweise das Aushubvolumen eines Baggers statt des Baggers selbst, gibt es nur in 22 Prozent der befragten Unternehmen.
Positiv sei der Blick auf die Planungsabsichten: Viele Befragte, im Schnitt 37 Prozent, setzen sich mit neuen Geschäftsmodellen auseinander und planen eine Umsetzung für die Zukunft. Dabei sollten Anwender aber nicht außer Acht lassen: Datenbasierte Geschäftsmodelle brauchen einiges an Vorlaufzeit, sowohl für die Bestimmung des Business Cases selbst, insbesondere aber auch für den Aufbau eines verlässlichen Datenstamms.
Fazit und Ausblick: Schnelligkeit zahlt sich aus
COVID-19 bremse aktuell einige Unternehmen aus, für andere sei es hingegen der Moment, in denen sich ihre Investitionen in neue Technologie und vor allem auch in IIoT auszahlen. Wie die Studienergebnisse zeigen, ist die Krise für viele gleichzeitig ein Weckruf, längst notwendige Modernisierungen durchzuführen.
Aber auch neue Technologien wie Edge Computing und AI/ML sollten nach IDC-Einschätzungen genutzt und eingesetzt werden, um langfristig einen Grundstein für neue Geschäftsmodelle und Services zu legen, die entweder selbstständig erbracht oder in Ökosysteme integriert werden können. Diese Ökosysteme zu entwickeln, entsprechende Partnerschaften aufzubauen und allgemein akzeptierte Standards zu bestimmen, sollte und werde eine der zentralen Aufgaben für industrielle und industrienahe Unternehmen in den kommenden Jahren in Deutschland sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Organisationen hätten es in der Hand: Wer die technologischen Voraussetzungen am schnellsten bieten könne, werde auch zuerst attraktiv für innovative Partner und habe damit die meisten Chancen auf Innovationspotenziale.
Methodik: Befragt wurden rund 250 industrielle und industrienahe Unternehmen in Deutschland mit mehr als 100 Mitarbeitern.