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Schiffe ohne Steuermann: Deutsche Reeder gehen auf Digitalisierungskurs

Die Digitalisierung wird Geschäftsmodelle und -prozesse der deutschen Reeder in den kommenden Jahren stark verändern. Laut einer aktuellen Branchenbefragung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC rechnen mittlerweile knapp neun von zehn Reedern damit, dass die Digitalisierung im Schiffsverkehr in den nächsten Jahren extrem zunehmen wird.

Technologien zur lückenlosen Echtzeit-Verfolgung von Sendungen auf hoher See oder zur Wartung von Schiffen aus der Ferne dürften damit schon bald Alltag werden. Jede vierte befragte Führungskraft aus der maritimen Wirtschaft geht außerdem davon aus, dass Schiffe in absehbarer Zukunft von Land gesteuert werden – ohne Steuermann und Besatzung an Bord. Vor zwei Jahren lag dieses Szenario noch für 96 Prozent der Reeder in weiter Ferne.

Digitalisierung erhöht Druck auf bestehende Geschäftsmodelle

Die neuen digitalen Möglichkeiten werden das Leistungsspektrum der Unternehmen im maritimen Sektor dramatisch verändern. So geht die Hälfte der Befragten (51 %) davon aus, dass deutsche Reedereien in Zukunft mehr Aufgaben innerhalb der Transportketten übernehmen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

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Claus Brandt

Knapp zwei Drittel der in der Studie befragten Führungskräfte (63 %) rechnen damit, dass Linienreeder künftig nicht nur den Schiffstransport, sondern auch die gesamte Lieferkette „von Haus zu Haus“ abdecken werden. „Die deutschen Reedereien haben sich in den letzten Jahren stark auf die Rolle des maritimen Transportdienstleisters beschränkt“, erläutert Claus Brandt, Partner und Leiter des Kompetenzzentrums Maritime Wirtschaft bei PwC. „Die fortschreitende Digitalisierung zwingt die deutschen Reedereien nun dazu, ihr Dienstleistungsportfolio zu vertiefen und die Logistikkette umfassender abzudecken – nicht nur auf See, sondern auch an Land.“

Neue Konkurrenz durch Google und Amazon?

Gut sechs von zehn der befragten Reeder (62 %) erwarten, dass Technologieunternehmen wie Google den digitalen Umbau der Branche mit technischen Dienstleistungen und Know-how unterstützen werden. An direkte Investitionen der Internetkonzerne in eigene Schiffe glaubt indes nur gut jeder zehnte Reeder – möglicherweise eine trügerische Fehleinschätzung, wenn man die Vorstöße der Technologiegiganten in andere Branchen, etwa die Automobilindustrie, betrachtet.

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„Dass in einigen Jahren Schiffe auch unter der Flagge von Amazon fahren, ist keinesfalls ausgeschlossen“, so Brandt. „Digitale Akteure drängen schon längst in die Logistik, zu Lande und in der Luft. Die deutschen Reedereien sind deshalb gut beraten, sich auf neue Konkurrenten aus dem Technologiesektor einzustellen.“

Wachstumserwartungen auf neuem Tiefstand

Die Investitionen in digitale Geschäftsmodelle müssen die deutschen Reeder allerdings unter wirtschaftlich herausfordernden Rahmenbedingungen stemmen. Nach einem Zwischenhoch im vergangenen Jahr rechnet nur noch ein gutes Drittel (35 %) der Befragten für die kommenden zwölf Monate mit steigenden Erlösen. Vor einem Jahr waren noch 55 Prozent der Reeder optimistisch gestimmt.

Dieser Stimmungsumschwung schlägt sich auch in den Investitionsplänen nieder. Zwar ist der Anteil der Reeder, die neue bzw. gebrauchte Schiffe kaufen wollen, aktuell fast genauso hoch (70 %) wie vor einem Jahr (74 %). Allerdings wollen auch deutlich mehr Reeder in den kommenden zwölf Monaten Schiffe verkaufen (59 %) als in der Befragung von 2015 (45 %).

Umstellung von Öl auf Flüssiggas polarisiert

Ein wichtiger Treiber zur Flottenmodernisierung sind neben Kostensenkungen auch verschärfte Umweltauflagen. Wie schon in den Vorjahren rechnen gut neun von zehn Reedern mit (weiter) steigenden Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Schiffsantriebe – rund zwei Drittel rüsten ihre Flotten dementsprechend nach. Dabei zeigt sich die Branche beim Thema Umrüstung auf Flüssigerdgas (LNG) gespalten. Während gut ein Drittel der Reeder davon ausgeht, dass in drei bis fünf Jahren deutlich mehr Schiffe als heute Flüssiggas statt Schweröl tanken, räumen 64 Prozent dem umweltfreundlichen Treibstoff in absehbarer Zeit weiterhin nur eine eher oder sehr geringe Bedeutung ein. Grund hierfür könnte unter anderem die in den Augen der Reeder schwierige Weitergabe der Umrüstungskosten an die Kunden sein: 71 Prozent halten diese für unwahrscheinlich bis ausgeschlossen.

Kreditfinanzierung wird immer schwieriger

Um die erforderlichen Investitionen finanzieren zu können, setzen die Reeder immer stärker auf Direktinvestitionen statt Bankkredite. So erwarten mittlerweile fast neun von zehn Reedern (89 Prozent), dass Banken künftig weniger zur Finanzierung beitragen werden – in der Vorjahresumfrage teilten diese Einschätzung erst 71 Prozent der Befragten. Auf der anderen Seite gehen unverändert 86 Prozent der Unternehmen davon aus, dass die deutsche Schifffahrtsindustrie mittelfristig in größerem Umfang von ausländischen Kapitalgebern finanziert wird.

Auch Fonds, Versicherungen oder Versorgungswerke sollen künftig häufiger in Reedereien investieren: Der Anteil der Reeder, die für diese und andere institutionelle Investoren attraktiver werden will, ist im Vorjahresvergleich von 62 auf 72 Prozent gestiegen. „Nachdem die deutsche Schifffahrtsbranche lange auf traditionelle Finanzierungsinstrumente wie Bankkredite gesetzt hat, öffnet sie sich nun zunehmend auch für alternative Finanzierungsinstrumente und Investoren“, so Brandt.

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