Deutsche Kfz-Versicherer stehen vor einer großen Herausforderung. Denn Vergleichsportale, neue Geschäftsmodelle wie Carsharing, das vernetzte Fahrzeug und die zunehmende Verbreitung von Fahrzeugassistenzsystemen bis hin zum teilautonomen Fahren verändern schrittweise die traditionellen Marktregeln der eher konservativen Branche. Einige Autoversicherer haben zwar bereits begonnen, mit Einzelinitiativen ihr Geschäftsmodell digitaler und stärker kundenorientiert auszurichten. Dem Großteil fehlt aber noch eine strategische Zielvorstellung für ihr künftiges Geschäftsmodell unter den veränderten Marktbedingungen.
In ihrer neuen Studie „Geschäftsmodell der Kfz-Versicherung im Umbruch“ analysieren die Versicherungsexperten von Roland Berger, Jürgen Thiele und Dr. Carsten Schmidt-Jochmann, die Treiber des künftigen Kfz-Versicherungsmarkts und deren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell. Zudem geben sie Empfehlungen, wie Versicherer darauf reagieren sollten, um weiterhin erfolgreich zu sein. Die Studie basiert auf Gesprächen mit rund 30 Top-Entscheidern aus dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt.
„Veränderte Kundenpräferenzen und die zunehmende Digitalisierung rund um das Thema Mobilität werden die Versicherungslandschaft deutlich verändern“, sagt Jürgen Thiele, Partner von Roland Berger. „Unter dem Druck, neue innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und effizienter zu werden, werden einige deutsche Versicherer in Zukunft vom Markt ausscheiden.“
Diese Einschätzung bestätigt auch die Roland Berger-Befragung: Knapp 60 Prozent der Entscheider rechnen bis 2030 mit einer starken Marktkonsolidierung. 1997 haben noch 132 Versicherungsunternehmen in Deutschland Kfz-Versicherungen angeboten, 2013 waren es nur noch 96 und bis 2030 wird diese Zahl nochmals spürbar sinken.
Kooperationsfähigkeit wird zur Schlüsselkompetenz
Durch die zunehmende Vernetzung von Fahrzeugen werden Automobilhersteller (OEMs) künftig zahlreiche Daten zu Fahrverhalten oder Defekten sammeln und neue Produkte sowie Dienstleistungen auf den Markt bringen können. Für Kfz-Versicherer sind solche Informationen etwa über Schadenereignisse oder Pannen ebenfalls wettbewerbsrelevant, zumal die zunehmende Ausstattung mit Sensoren oder Assistenzsystemen in den kommenden Jahren die Anzahl an Unfällen und Schäden reduzieren und in der Folge zu rückläufigen Prämieneinnahmen bei den Versicherern führen wird. „Der Wettlauf um Kunden und Daten wird durch attraktive Angebote für den Kunden entschieden“, sagt Dr. Carsten Schmidt-Jochmann, Principal bei Roland Berger. „Doch beim vernetzten Kfz sitzen die Automobilhersteller im Fahrersitz.“
Versicherer müssen daher attraktive Angebote entwickeln, damit Kunden bereit sind, ihre Daten zu teilen. Ansonsten laufen sie Gefahr, in eine permanente Abhängigkeit von OEMs oder anderen branchenfremden Akteuren zu geraten.
Bis 2030 erwarten die befragten Branchenexperten für Telematik-basierte Kfz-Versicherungen einen Marktanteil von über 20 Prozent – davon ein großer Teil von branchenfremden Anbietern. Insbesondere der zunehmende Abschluss von Policen über Vergleichsportale setzt die Kfz-Versicherer unter Druck. Darüber hinaus stellt das wachsende Angebot von FinTech-Unternehmen ein noch schwer einzuschätzendes Bedrohungspotential für die Versicherungsbranche dar. Versicherer werden künftig stärker auf Kundenwünsche eingehen müssen und dabei verstärkt mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten müssen, um Produkte und Dienstleistungen schnell und einfach on- und offline verfügbar zu machen.
Innovationsmanagement als Teil des Geschäftsmodells
Um auf neue Wettbewerber und deren innovative Geschäftsmodelle reagieren zu können, müssen Versicherer aktives und dauerhaftes Innovationsmanagement betreiben. Mehr als die Hälfte der für die Roland Berger-Studie Befragten ist der Meinung, dass zukünftig ein fester Anteil von zwei bis drei Prozent der Kfz-Prämieneinnahmen in Forschung & Entwicklung investiert werden wird.
Den digitalen Wandel verfolgen deutsche Versicherer aktuell mit unterschiedlichen Ansätzen: Etwa 30 Prozent der Befragten haben bereits Gesellschaften für Innovationsmanagement gegründet. Rund zehn Prozent kooperieren oder betreiben eigene Inkubatoren oder Innovationslabs, um das eigene Geschäftsmodell mit neuen Ideen und Ansätzen weiterzuentwickeln.
Darüber hinaus sollten die Unternehmen einen kulturellen Wandel vollziehen. „Eine Kultur des ‚ausgesteuerten Scheiterns‘ ist nötig“, sagt Thiele. Das heißt, es werden gezielt mehrere Innovationsansätze gestartet und ausprobiert. Die, die funktionieren, werden fortgeführt, die anderen werden wieder ‚ausgesteuert‘, also gestoppt. Das steigert die Agilität, um im digitalen Wettbewerbsumfeld künftig erfolgreich zu bestehen.
„Gewinner werden die Versicherer sein, die bereits heute bereit sind, in die erforderlichen Innovationen und Anpassungen ihres Geschäftsmodells zu investieren“, fasst Thiele zusammen. „Die Erschließung neuer Umsatzquellen in angrenzenden Geschäftsfeldern wird sich fortsetzen. Kooperationen und Partnerschaften mit Firmen außerhalb der Versicherungsbranche sind deshalb ein entscheidender Erfolgsfaktor.“