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Industrieunternehmen sind Dinosaurier im Multi-Channel-Zeitalter

Digitalisierung steht ganz oben auf der Agenda deutscher Industrieunternehmen – doch den Vertrieb scheint das nicht zu betreffen. Während die Digitalisierung in der Produktion derzeit schnell Einzug hält, hinkt der Vertrieb weit hinterher: Nur zwei Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nutzen die Möglichkeiten digitaler Vertriebskanäle vollständig aus.

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Was der Kunde von privaten Kauferlebnissen seit langem gewohnt ist ˗ Onlineshops, Konfiguratoren und Co. ˗, steckt im Industriegütervertrieb noch in den Kinderschuhen. Neun von zehn Unternehmen stehen bei der Erschließung der digitalen Kontaktkanäle für den Vertrieb erst am Anfang, so das Fazit einer Studie der Managementberatung Horváth & Partners, in der die Vertriebskanäle von mehr als 220 Industrieunternehmen analysiert wurden. „Wer zu den ‚Dinosauriern‘ gehört, muss sich beeilen, um nicht von der digitalen Evolution im Vertrieb überrollt zu werden“, so Thorsten Lips, Vertriebsexperte bei den Consultants.

Die Mehrheit besteht aus „analogen Bewahrern“ 

Die Berater stufen fast 90 Prozent der betrachteten Unternehmen als ‚Analoge Bewahrer‘ (Stufe 1) und ‘Digitale Anfänger‘ (Stufe 2) ein. „Das heißt, sie stellen zwar Informationen zu Produkten, Preisen und Einsatzmöglichkeiten auf ihrer Website zur Verfügung, die Produkte sind jedoch nicht online bestellbar“, erklärt Studienleiter Rico Manß. Reine B2B-Unternehmen nutzen die digitalen Kanäle am wenigsten. Dagegen bietet die Hälfte der Unternehmen, die auch direkt an Endkunden vertreiben, bereits einen digitalen Shop, einen Mitgliederbereich und weitere Tools an.

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„In der Industrie ist der überwiegende Teil der Kaufentscheidung bereits getroffen, wenn ein Kunde zum ersten Mal mit dem Vertrieb in Kontakt tritt. Dennoch bespielen Industrieunternehmen die digitalen Informationskanäle bisher so gut wie nicht. Einzelne Informations- und Vertriebskanäle sind nicht miteinander verknüpft, der Kunde wird nicht kanalübergreifend betreut. Das hat zur Folge, dass viele Kunden verloren gehen, ohne dass es der Vertrieb auch nur bemerkt“, warnt Manß.

Von allen Industriezweigen ist der Entwicklungsstand in der Bauindustrie am geringsten fortgeschritten. Etwas weiter sind die Unternehmen aus dem Bereich „Elektronik“. Die Unternehmensgröße ist gemäß der Analyse kein Indikator für den digitalen Fortschritt. Die internationale Ausrichtung dagegen schon. „Es fällt auf, dass Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland erwirtschaften, weiter entwickelt sind als national oder lokal orientierte“, so Manß.

Digitale Unterstützung des Kunden entlang der gesamten „Customer Journey“

Für den Vertriebserfolg ist nicht die Anzahl digitaler Kontaktkanäle entscheidend, sondern deren richtige Auswahl und Vernetzung: „Die Kunden erwarten, dass sie während des gesamten Informations- und Einkaufsprozesses zwischen den verfügbaren Informations- und Vertriebskanälen wechseln können – je nach individuellem Bedarf“, erläutert der Studienleiter.

Von diesem Zielbild sind die Industrieunternehmen momentan weit entfernt. Dafür sehen die Berater mehrere Ursachen: Zum einen fehle vielen Unternehmen eine durchdachte Kanalstrategie, um die Besonderheiten der einzelnen Kanäle zu nutzen. Auch kennen viele die „Customer Journey“ ihrer wichtigsten Zielkunden gar nicht. Zum anderen entstehe oft selbst dann kein echter Mehrwert für die Kunden, wenn mehrere Kanäle bespielt werden, da diese oft wie Inseln voneinander getrennt bleiben.

„Ein Kunde braucht beispielsweise in der Entwicklungsphase eine Kalkulations-App, in der Informationsphase eine persönliche Beratung und vor der unmittelbaren Kaufentscheidung einen Onlineshop. Wenn diese nicht miteinander verknüpft sind, ergeben sich Bruchstellen im Verkaufsprozess“ erläutert Manß.

Darüber hinaus stehen die unterschiedlichen Vertriebskanäle häufig in Konkurrenz zueinander. „Wenn etwa der Onlineshop zum Feind des Flächenvertriebs wird, weil er diesem Kunden entzieht, dann ist Multi Channel nicht richtig verstanden. Solche Konstellationen gilt es mithilfe klarer Modelle zu vermeiden.“

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Laufende Synchronisation von Transaktions- und Kundendaten zwischen allen Kontaktkanälen nötig

Oft fehlt auf Unternehmensseite die notwendige IT-Struktur und technische Standardisierung, um ein integriertes Multi-Channel-Angebot umzusetzen.

Eine weitere Hürde ist die unvollständige Datenintegration: Nur wenn die Transaktions- und Kundendaten zwischen den Kanälen (im Idealfall in Echtzeit) ausgetauscht werden, ist es beispielsweise für einen Mitarbeiter im Innendienst sofort ersichtlich, dass ein Kunde gerade eine Bestellung online aufgegeben hat und diese noch einmal telefonisch bestätigt haben will.

Mit einer konsistenten Kundendatenbank und der geeigneten technologischen Infrastruktur können alle Kundendaten aus den verschiedenen Systemen und Kanälen übergreifend und wirksam genutzt werden.

Steuerungssystem anpassen

Schließlich ist ein Umdenken in der Steuerung der Vertriebskanäle nötig: die einzelnen Kanäle werden meistens separat und über klassische Vertriebskennzahlen wie Umsatz und Deckungsbeitrag gesteuert. In einem Multi-Channel-System findet der umsatzwirksame Kaufabschluss aber häufig in einem anderen Kanal statt als beispielsweise die Informationsphase.

„Wenn Umsätze nicht mehr einem Kanal zugeordnet werden können, muss das Steuerungssystem angepasst werden. Starres Silodenken aus der Vergangenheit führt zwangsläufig dazu, dass der Dinosaurier ausstirbt“, so Thorsten Lips.

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