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Die britische High-Tech-Branche und der Brexit: Ein Blick in die Zukunft

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Ein Frost & Sullivan-Kommentar von Practice Director Ajay Sule, und Research Director Adrian Drozd

Die Technologiebranche in Großbritannien erwirtschaftet circa zehn Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts und ist eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaftsbereiche. Mit einer florierenden Start-up-Szene und einem starken Fokus auf Fintech wird London weithin als digitale Hauptstadt Europas bezeichnet.

Vor dem Brexit-Votum am 23. Juni ermittelten verschiedene Umfragen unter den führenden Anbietern in der Branche eine starke Präferenz für einen Verbleib in der EU und damit für einen leichteren Zugriff auf ausgebildetes Fachpersonal, die Möglichkeit, bessere Vereinbarungen bei Handelsbeziehungen innerhalb der EU aushandeln zu können sowie Finanzierungsvorteile. Brexit-Befürworter verwiesen auf die potenzielle Erleichterung, in der Weltwirtschaft flexibel und wettbewerbsfähig agieren zu können sowie die Möglichkeit, reglementierenden Verwaltungsaufwand durch Brüssel abschütteln zu können.

Nach dem Referendum wird die Technologiebranche nach Mitteln und Wegen suchen, mit den neuen Möglichkeiten und Herausforderungen zurecht zu kommen. Wie auch in einem größeren wirtschaftlichen Kontext wird es zunächst eine Phase der Unsicherheit und Anpassung geben, das Business wird jedoch weiter voranschreiten und sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Der EU-Austritt wird neben allgemeinen Fragen zu Handelsbeziehungen und Logistik eine Reihe von Konsequenzen für die verschiedensten Bereiche mit sich bringen und die folgenden Aspekte werden die vier Fokusbereiche für Großbritannien nach dem Brexit darstellen:<

  1. Fachkräftemangel: die britische Technologiebranche und das sie umgebende Innovationsumfeld benötigen hochqualifizierte Mitarbeiter um weiter zu florieren. Aktuell werden Mitarbeiter aus der EU angeworben und dennoch herrscht in manchen Bereichen ein Fachkräftemangel. Wenn der Immigration Einhalt geboten wird, wird es britischen Unternehmen noch schwerer fallen, das richtige Personal zu finden, um ihr Business voranzubringen. Zudem mag es EU-Bürgern sinnvoller erscheinen, ihr berufliche Karriere andernorts als in Großbritannien fortzusetzen, es besteht Grund zur Befürchtung, dass viele Arbeitnehmer eine berufliche Karriere in anderen Ländern Europas anstreben warden.
  2. Großbritanniens Rolle als digitale Drehscheibe: für Unternehmen auf der Suche nach neuen Möglichkeiten war Großbritannien bisher der Zugang zum europäischen Markt. Das galt besonders für US-Firmen aufgrund ihrer kulturellen Affinitäten mit dem Vereinigten Königreich. Start-ups wurden zudem durch die Innovationskultur angezogen, die vor allem in London herrscht. Bei der nunmehr spürbaren Unsicherheit muss man sich die Frage stellen, ob große IT-Dienstleister auch weiterhin ihren europäischen Hauptsitz in Großbritannien belassen wollen oder ob sie diesen nach Paris, Frankfurt oder in andere Städte verlegen werden, um weiterhin innerhalb der EU im Geschäft zu bleiben. Wenn Großbritannien zudem kein Teil des digitalen Binnenmarktes sein würde, könnte das Land noch weiter in die Isolation geraten und der Vorteile eines grenzüberschreitenden Online-Handels beraubt warden.
  3. Bringt die Zukunft weniger Bürokratie … oder sogar mehr? Datenschutz und damit verbundene Verordnungen sorgen seit vielen Jahren für hitzige Debatten. Während Großbritannien eine Variante der EU-Verordnung zum allgemeinen Datenschutz einführen könnte, könnte es der Brexit Unternehmen noch schwerer machen, durch das Netz an Verordnungen zu navigieren und sich an die jeweils unterschiedlichen Vorschriften der verschiedenen Länder zu halten. Auch die Frage, wo Daten gespeichert werden, ist wichtiger als je zuvor, denn es muss sichergestellt sein, dass die Daten sicher  aufbewahrt und Datenschutzlinien beachtet werden. Die EU hat sich zudem dafür eingesetzt, wie US-amerikanische Unternehmen mit in Europa gesammelten Daten umgehen und diese verwalten sollen und hat das EU-US-Datenschutzabkommen ausgehandelt. Bei einem Brexit wird Großbritannien ab 2018 nicht mehr unter dieses Abkommen fallen und seine eigenen Konditionen direkt verhandeln müssen.
  4. Zugang zu Finanzierung und Krediten: obwohl die Bank of England verkündet hat, dass sie bereits Pläne zur Unterstützung der britischen Wirtschaft und des Finanzsektors gemacht hat, so bleiben doch Bedenken in Hinblick auf die Möglichkeit, Kredite und Finanzierungen zu erhalten, und zwar besonders für Start-up-Unternehmen. Der Europäische Investitionsfonds (EIF) ist der größte Investor der britischen Risikokapitalgesellschaften; ob diese Finanzierungsquellen weiterhin bestehen bleiben und für wie lange bleibt eine wichtige Frage.

Im Verlauf der nächsten Monate wird es noch viele weitere Fragen geben, die beantwortet werden müssen, wenn sich die erste Unruhe gelegt haben wird. Zum Beispiel werden pan-europäische Verträge neu verhandelt werden müssen und Vorschriften in Bezug auf geistiges Eigentum (engl. intellectual property, IP) und Handelsmarken bedürfen eventuell einer gesonderten Behandlung sowohl für Großbritannien als auch die EU. Einzelpersonen als auch Unternehmen werden ihre Optionen und Möglichkeiten abwägen – und viele werden nicht abwarten, bis die formellen Austrittsverhandlungen stattgefunden haben, um die eigenen Pläne weiter voranzutreiben. Dennoch, Großbritannien hat schon lange gezeigt, dass es eine innovative und widerstandsfähige Technologiebranche hat, und Frost & Sullivan geht davon aus, dass das Land die anfänglichen Turbulenzen und Unsicherheiten ausgelöst durch das Brexit-Votum meistern wird.

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