Top-Entscheider weltweit rechnen im Laufe dieses Jahres in allen Sektoren mit einer starken Zunahme der digitalen Disruption. Während diese in Technologie- und Konsumgüterunternehmen bereits weit fortgeschritten ist, erwartet der Healthcare-Bereich den größten Digitalisierungsschub, gefolgt von Financial Services und Industrials. Obwohl die Digitalisierung durch die oberste Führung initiiert und unterstützt werde, stocke in vielen Unternehmen die Umsetzung. Hauptgründe seien der Mangel an Top-Talenten, die Trägheit großer Organisationen sowie interne Silostrukturen.
In allen von der Personalberatung Russell Reynolds Associates für die Studie „Digital Pulse: 2017 Outlook & Perspectives from the Market“ untersuchten Branchen haben mindestens die Hälfte der Organisationen mit der digitalen Transformation begonnen, in Technologie- und Konsumgüterfirmen sogar fast drei Viertel (74 % bzw. 73 %). Dagegen habe aktuell erst rund jeder zweite Industriekonzern (51 %) entsprechende Programme. Den größten Digitalisierungssprung erwarten Führungskräfte in der Healthcare-Industrie: Während heute erst 56 Prozent aller Player hiervon betroffen sind, sollen es innerhalb der nächsten zwölf Monate bereits 72 Prozent (+16 Prozentpunkte) sein. Auch bei Finanzdienstleistern (von 65 % auf 77 %) und Industrieunternehmen (von 51 % auf 63 %) wird ein großer Schub erwartet.
Digitalkompetenz ist mangelhaft
Im Vordergrund stehen bei den 1.500 weltweit befragten Führungskräften solche Initiativen, die eine verstärkte Kundenbindung bzw. Interaktion mit diesen (77 %), eine verbesserte Datenerfassung (71 %) sowie die Nutzung neuer Marketingkanäle (70 %) zum Ziel haben. Dennoch zeichne sich nach Jahren der regelrechten Sammelwut eine gewisse Ernüchterung ab: Nur 44 % der Befragten sind überzeugt, dass die verfügbaren Daten ausreichend effektiv genutzt werden.
Adrian Fischer, zuständig für Klienten aus dem Digital- und Technologiebereich bei Russell Reynolds Associates: „Das Bewusstsein über die Relevanz der Digitalisierung ist in den obersten Konzernebenen aller Branchen angekommen. Nun gilt es, sehr konsequent die Digital-Expertise in den Aufsichtsräten, auf Vorstandsebene und über alle Entscheidungsebenen hinweg zu verankern. Dieses muss die ’neue Normalität‘ sein. Auf Strategieebene ist dies erfolgt. Die tatsächliche Umsetzung verläuft beim Gros führender deutscher Unternehmen jedoch noch viel zu langsam. So geht Zeit verloren, die für die umfassende Transformation der Unternehmen eigentlich nicht mehr da ist. Längst arbeiten reine Internet-Player, meist von der US-Küste, aggressiv an Geschäftsmodellen, welche die Kernbranchen maßgeblich verändern.“ Der Nachholbedarf werde in der Zahl deutlich: In Deutschland etwa verfügen lediglich 37 Prozent der DAX- und sogar nur 35 Prozent der M-DAX Unternehmen über einen Digitalexperten in ihren Aufsichtsräten.
Jeder zweite Top-Manager klage über fehlendes Know-how und hausinterne Expertise. Jeder Zehnte (9 %) gibt sogar zu, die firmeneigene Digital-Strategie nur in Ansätzen zu verstehen. Fast ebenso viele sehen die Trägheit der Organisation (49 %) und die Silomentalität in vielen Funktionen (47 %) als große Hindernisse. Weitere Barrieren: zu kleine Budgets, zu geringe Managementkapazität und schlechte Technologieinvestitionen.
„Trotz dieser Hindernisse sind die Bemühungen der Chefetagen, das Thema voranzutreiben, deutlich spürbar. Dabei hat jedes Unternehmen seine eigene Herangehensweise, digitale Geschäftsmodelle zu pilotieren, skalieren und monetarisieren. Oftmals bremsen allerdings althergebrachte Bürokratien und hierarchisches Denken. Regionale Unterschiede, vor allem zwischen den USA und Europa, machen sich deutlich bemerkbar“, so Jan C. Cron aus der Digital Transformation-Practice der Personalberatung.
Unterschiedliche Herangehensweisen in USA und Europa
In 40 Prozent aller Unternehmen setze der CEO selbst die Vorgaben zur Digitalisierung der Organisation, gefolgt vom CMO (14 %), Head of Digital (10 %) und IT-Chef (8 %). Dabei existieren deutliche Länder-Unterschiede: In Europa ist es in 46 Prozent der Fälle der CEO, der die Digital-Strategie verantwortet. In den USA trifft dieses nur auf 34 Prozent der Organisationen zu. Dafür nimmt bei amerikanischen Unternehmen der CMO (21 %) deutlich mehr Einfluss.
Weltweit attestieren insgesamt 91 Prozent aller Befragten ihren CEOs eine spürbare Motivation, die digitale Vision und entsprechende Innovationen voranzutreiben. 67 Prozent sehen diesen sogar als größten Treiber der technologischen Disruption, erneut gefolgt vom CMO (54 %) sowie den IT- und Digital-Chefs (beide 40 %).
Auch hier ergebe sich für die USA ein im Vergleich vom Durchschnitt abweichendes Bild: Hier ist weniger der CEO (58 %) als vielmehr der CMO (6 3%) der stärkste Mentor der digitalen Agenda. In Europa hingegen scheine der CMO (48 %) das Thema weniger stark zu forcieren. Im globalen Vergleich weit abgeschlagen seien in diesem Zusammenhang der Leiter eCommerce (19 %), der CFO (14 %) sowie der CHRO (9 %).
Bei der Umsetzung der digitalen Strategien setzen die meisten Organisationen auf eine Mischung aus zentralen (39 %) und dezentralen Teams (16 %): In 45 Prozent seien Digital-Teams sowohl auf Ebene des Unternehmens als auch in einzelnen Geschäftseinheiten eingebettet. Ebenfalls wieder gegenläufig seien die Resultate für die USA. Während hier 43 Prozent der Befragten (Europa: 37 %) auf das zentrale Modell setzen, folgen nur 37 Prozent dem hybriden Managementansatz.
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