Home / Themen / Trends / Milliardenmarkt Smart Mobility: „Nur wer den Mut hat, sich selbst zu kannibalisieren, kann gewinnen“

Milliardenmarkt Smart Mobility: „Nur wer den Mut hat, sich selbst zu kannibalisieren, kann gewinnen“

Wer macht das Rennen um digitale Dienstleistungen für Reisende? Neben öffentlichen Transportanbietern bringen sich Autobauer und Internetgiganten in Position. Sie alle wollen sich mit Services für die Reiseabwicklung und Zusatzleistungen unterwegs unentbehrlich machen. Dank der stark wachsenden Zahlungsbereitschaft in Schlüsselländern wie China, den USA und Deutschland entsteht ein neuer Milliardenmarkt.

Zu diesem Ergebnis kommt die Strategieberatung Oliver Wyman in der zweiten Ausgabe ihrer internationalen Mobilitätsstudie „Mobility 2040: The Quest for Smart Mobility“. Beim Kampf um die globale Vorherrschaft gelte es, die wachsenden Ansprüche der Kunden schnell zu erfüllen. So gewinnen auch Extras wie Finanztransaktionen, E-Commerce, Bildung und Unterhaltung an Wert. Anbieter müssen umdenken: Wer sich als  Plattform durchsetzen will, dürfe nicht davor zurückschrecken, auch die Konkurrenz zu empfehlen – wenn sie schneller oder günstiger ist.

Autobauer und Technologiekonzerne bringen sich in Position

Zunehmend löst sich allerdings die enge Verbindung zum eigenen Auto, so Oliver Wyman – besonders bei jüngeren Leuten und Vielfahrern. Für sie werde immer wichtiger, möglichst schnell und komfortabel ans Ziel zu gelangen. Beim Verkehrsmittel selbst seien sie deshalb nicht mehr wählerisch und legen stattdessen Wert auf intelligente Dienstleistungen rund um die Reise – Smart Mobility genannt. Hier entstehe ein lukrativer Milliardenmarkt. Neben klassischen Verkehrsunternehmen bringen sich auch Autobauer und Technologiekonzerne in Position, um das stark wachsende Geschäftsfeld zu besetzen.

„Besonders Geschäftsreisende erwarten personalisierte Mobilitätslösungen von Tür zu Tür, die unterschiedliche Verkehrsmittel flexibel kombinieren“, sagt Joris D‘Incà, Partner bei Oliver Wyman und Autor der Studie. „Aber auch bei denjenigen, die in der Freizeit unterwegs sind, wird eine wachsende Nachfrage nach smarten Mobilitätsangeboten entlang der gesamten Reisekette sichtbar – von Planung und Bezahlung über Echtzeit-Informationen unterwegs bis hin zum Feedback, wenn das Ziel erreicht ist.“

Die Oliver Wyman-Experten blicken weit in die Zukunft: Auf 200 Milliarden Euro taxieren sie das globale Marktpotenzial für Smart Mobility im Jahr 2040 ­– vier Milliarden davon in Deutschland. Dennoch dürfen Unternehmen keine Zeit verlieren, wenn sie erfolgreich mitmischen wollen. „Die Weichen für den künftigen Erfolg bei Smart Mobility werden jetzt gestellt“, sagt D‘Incà.

Smarte Dienstleistungen entscheiden künftig über Verkehrsmittelwahl

International wie auch in Deutschland belegt die Studie eine hohe Akzeptanz von intelligenter Mobilität. Über 80 Prozent der befragten Autofahrer äußern hierzulande die Bereitschaft, ihre Reisegewohnheiten zu ändern, um mithilfe smarter Dienstleistungen andere Verkehrsmittel zu nutzen. Auch in entgegengesetzter Richtung steige die Wechselbereitschaft. Ebenfalls rund 80 Prozent der Nutzer des öffentlichen Verkehrs zeigen sich offen dafür, auf das Auto umzusteigen – smarte Dienstleistungen für die Reise vorausgesetzt. Eine wichtige Rolle dabei könnten autonome Fahrzeuge spielen, die Fahrgäste in Zukunft als autonomes Shuttle zum Ziel bringen.

Im Auto ohne Lenkrad herrscht dann eine neue Freiheit, die Mobilitätsdienstleister nutzen können: „Angebote wie Finanzdienstleistungen, E-Commerce oder Unterhaltung und Bildung können die Umsätze weiter steigern“, sagt Sebastian Schambach, Berater bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie. Er geht davon aus, dass künftig auch Bankgeschäfte direkt über die digitale Mobilitätsplattform erledigt werden. „Chinesen sind internationale Vorreiter und würden unserer Umfrage zufolge schon heute ihre Finanztransaktionen über eine Smart-Mobility-Plattform abwickeln“, sagt Schambach. Auch Weiterbildungskurse könnten Passagiere direkt über die Mobilitätsplattformen buchen. Eine weitere wichtige Einnahmequelle soll laut Studie Werbung sein.

Die Zahlungsbereitschaft wächst

Grundsätzlich beobachten die Berater eine wachsende Bereitschaft, für die neuen Dienstleistungen rund um die Organisation der Reise zu bezahlen. Dabei ergeben sich im Ländervergleich deutliche Unterschiede. So sagen 97 Prozent der Chinesen, dass sie auch kostenpflichtige Services nutzen würden – aber erst 77 Prozent der Deutschen. „Die Aufgeschlossenheit der Europäer und Amerikaner wird sich auf diesem Gebiet noch weiter erhöhen“, erwartet Schambach.

„Das größte Potenzial liegt in den Zusatzservices“, sagt D’Incà. „Einem Anbieter muss es gelingen, ein Ökosystem aufzubauen und sich unentbehrlich zu machen.“ Vorbilder dafür seien Google bei Suchmaschinen oder Facebook bei sozialen Netzwerken. Heute gibt es mit Plattformen wie Quixxit (DB), Moovel (Daimler) oder MOIA (Stadt Hamburg) in Deutschland eine Vielzahl an Anbietern und Apps – doch niemand dominiert den Markt. Die Berater erwarten einen Konsolidierungsprozess, an dessen Ende wenige globale Anbieter den Markt beherrschen.

„Wir sind überzeugt, dass es vorher zu qualifizierten Partnerschaften kommt“, so D’Incà. Von der länderübergreifenden All-inclusive-Dienstleistung für Reisende aber seien die Plattformanbieter derzeit noch weit entfernt. „Sie haben überwiegend Angebote für die Reiseplanung. Daten sammeln sie höchstens, um sie öffentlichen Institutionen zur besseren Verkehrsplanung anzubieten – und nicht, um individuelle Services und Werbung zu generieren“, sagt D‘Incà. Bestenfalls würden noch Provisionen durch die Vermittlung von Transportangeboten erzielt.

Transportanbieter in Deutschland in der Pole Position

Noch nicht absehbar ist laut Studie, welche Unternehmen den Mobilitätsmarkt der Zukunft beherrschen werden. Besonders Chinesen und US-Amerikaner erwarten, dass große Digitalunternehmen wie Google die Führungsrolle übernehmen. Die Deutschen dagegen schreiben der Transportbranche die höchste Kompetenz für reisenahe Dienstleistungen in hoher Qualität zu – auch im Hinblick auf Komfort und Sicherheit. Die Automobilindustrie, die bereits ihr Angebot in Richtung Mobilitätsdienste ausweitet, wird hingegen von den Befragten in allen fünf betrachteten Ländern noch nicht als Treiber der Smart Mobility wahrgenommen.

„Wer das Rennen letztlich macht, ist derzeit völlig offen“, sagt D‘Incà. Um die eigene Plattform zum Erfolg zu führen, sei ein hoher Einsatz nötig: „Es gilt alles auf eine Karte zu setzen – auch wenn man dafür über seinen Schatten springen muss.“ Dazu gehöre auch, dass eine Bahn-App eine Busverbindung empfehle, wenn diese günstiger und schneller sei. „Nur wer den Mut hat, sich selbst zu kannibalisieren, kann in dem neuen Markt gewinnen.“ Parallel erwartet D‘Incà neue Allianzen auch über Branchengrenzen hinweg: „Eine überzeugende Produktvielfalt gekoppelt mit dem direkten Kundenzugang wird kein Anbieter alleine hinbekommen.“

Share

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*