Der Einzelhandel muss in die Lieferung bis an die Wohnungstür investieren, um weitere Einnahmequellen zu erschließen. Die meisten Kunden würden bei extraschneller Lieferung öfter und mehr Lebensmittel online kaufen – extra zahlen möchten dafür aber die Wenigsten.
Laut der Studie „The Last-Mile Delivery Challenge: Giving retail and consumer product customers a superior delivery experience without hurting profitability“ des Capgemini Research Institute sind 97 Prozent der Unternehmen überzeugt, die derzeitigen „Last-Mile“-Liefermodelle langfristig nicht überall anbieten zu können. Vor allem die kostenfreie Lieferung sei in Gefahr, sollten die Zustellungskosten nicht durch weitere Automatisierung sinken.
Marc Rietra, Leiter Business & Technology Solutions CPRD bei Capgemini in Deutschland meint dazu: „Heute sind die Kunden weder mit der Qualität der Zustelldienste zufrieden, noch bereit, die Gesamtkosten für die Zustellung bis an die Wohnungstür zu übernehmen. Der Handel steckt damit in einem Dilemma: Wie einen „Last-Mile“-Lieferservice anbieten den die Kunden lieben, ohne dabei die eigene Rentabilität zu gefährden? Wenn ihnen das gelingt, winken als Lohn die Loyalität der Kunden und mehr Umsatz, zusätzlich zur Optimierung der eigenen Lieferstationen und geringeren Profitabilitätsrisiken.“
Wichtige Erkenntnisse der Studie im Überblick
1) Ertragschancen durch die Automatisierung des Kundenerlebnisses auf der „letzten Meile“: Da Lagerhaltung und Produktsortierung ein Drittel der Kosten einer Lieferkette ausmachen, biete die Automatisierung hier erhebliches Potenzial. In Anbetracht dessen investieren 89 Prozent der Unternehmen in die Mechanisierung und Automatisierung von Lagerräumen, um die korrekte Ausführung und Lieferung zu beschleunigen.
2) 40 Prozent der Kunden bestellen derzeit mindestens einmal pro Woche Lebensmittel online: Bis 2021 werde diese Zahl voraussichtlich auf 55 Prozent ansteigen. Vierzig Prozent der Kunden bezeichnen Lieferservices als „must have“ beim Kauf von Lebensmitteln und ähnlichen Produkten; jeder Fünfte wäre sogar bereit, den Händler zu wechseln, wenn dieser Service nicht angeboten wird. Diese Entwicklung im Verbraucherverhalten führe auch zu mehr Spontankäufen: 59 Prozent der Kunden kaufen Produkte online wenn sie sie brauchen, statt bis zum Wochenende zu warten, um im Geschäft vor Ort zu einzukaufen.
3) Eine schnelle und effektive Zustellung auf der „letzten Meile“ verführt zu höheren Ausgaben und steigert die Kundenbindung: 74 Prozent der zufriedenen Kunden planen, die Ausgaben beim bevorzugten Händler um bis zu zwölf Prozent zu erhöhen. Die Mehrheit der Kunden (82 %) teilt ihre positiven Erfahrungen mit Freunden und Familie und etwas mehr als die Hälfte (53 %) wäre sogar bereit, eine kostenpflichtige Mitgliedschaft für einen guten Lieferservice zu erwerben. Während 55 Prozent der Kunden bestätigen, dass eine Lieferungen innerhalb von zwei Stunden ihre Loyalität steigert, bieten derzeit nur 19 Prozent der Unternehmen diese Lieferzeit an, 59 Prozent der Unternehmen geben einen Lieferzeitrahmen von mehr als drei Tagen an.
4) 65 Prozent der Kunden nutzen alternative Zustelldienste für Lebensmittel – wie Google Express, Instacart oder Ocado – für bessere Services als im traditionellen Einzelhandel: Die Studie bestätigt, dass Verbraucher mit dem derzeitigen Stand der Leistung im letzten Lieferschritt nicht zufrieden sind, vor allem aufgrund hoher Preise (59 %), fehlender Same-Day-Delivery (47 %) und verspäteter Zustellungen (45 %). Fast die Hälfte (48 %) der unzufriedenen Kunden würden ihre Ausgaben um 45 Prozent senken oder nicht wieder bei einem Händler bestellen, mit dessen Lieferung sie nicht zufrieden wären.
Trends, Schlüsselinvestitionen und Widersprüche
Unternehmen berechnen ihren Kunden derzeit nur noch 80 Prozent der gesamten Lieferkosten und die Zustellung ist der teuerste Teil der Lieferkette: Die Befragung ergab, dass 97 Prozent der Unternehmen die aktuellen Modelle der Last-Mile-Delivery nicht für geeignet halten für eine flächendeckende und vollständige Implementierung. Damit werden sie zur Schlüsselinvestition für 2019, denn nur ein Prozent der Kunden sind bereit, die Gesamtkosten für Lieferungen in der letzten Meile zu übernehmen. Obwohl niedrige Lieferkosten für die Hälfte aller Kunden oberste Priorität besitzen, ist dies nur bei 30 Prozent der Unternehmen der Fall.
Ein weiterer Widerspruch: Wichtiger als eine schnelle Lieferung sei die Zustellung im passenden Zeifenster, sagen rund drei Viertel (73 %) der Verbraucher, doch nur 19 Prozent der Unternehmen sehen das ebenso.
Die Studie bestätigt, dass Kunden offen sind für Experimente mit Lieferoptionen im „Crowdsourced-Stil“: Für einen bestimmten Anreiz, am liebsten finanzieller Art, wären 55 Prozent bereit, Produkte an Nachbarn in ihrer Nähe zu liefern, wobei es 64 Prozent wiederum egal wäre, ob eine Lieferung von einem Mitarbeiter eines Einzelhandelsgeschäfts, einer Privatperson oder Kurieren von Dritten durchgeführt wurde. Tatsächlich sind 79 Prozent der Kunden bereit, Lebensmittel zu einem Preis zu liefern, der unter den derzeitigen Kosten der Einzelhändler für die Belieferung liegt.
Empfehlungen für die Zustellung bis an die Haustür
1) Optimierung der Lieferstationen: Eine Erhöhung der von Läden durchgeführten Lieferungen um 50 Prozent könnte die Gewinnmargen um bis zu neun Prozent steigern. Sogenannte „Dark Stores“ – Einzelhandelsaußenposten mit filialähnlichen Layouts, die nur zur Erfüllung von Online-Bestellungen bestimmt sind – können auch hohe Liefermengen verarbeiten und sind bei Lieferungen am selben Tag 23 Prozent günstiger als herkömmliche Filialen. Wenn 30 Prozent der Lieferungen und Retouren über Paketschließfachanlagen abgewickelt würden, könnten Unternehmen zudem eine Steigerung der Gewinnmargen um 8 Prozent erreichen.
2) Automatisierung der Zustellvarianten: Aus der Studie geht hervor, dass die back room delivery den Gewinn um bis zu 14 Prozent steigern könnte, indem sie die Kosten für Click-and-Collect-Bestellungen und Lieferungen aus dem Lager reduziert. Darüber hinaus bietet die Automatisierung eine Reihe von Vorteilen, darunter die Reduzierung von Ausführungsfehlern und die Verwaltung von Retouren (entsprechen 26 Prozent der Lieferkosten) und die Reduzierung der erforderlichen Trainingszeit für neue und saisonale Mitarbeiter, da die automatisierten Systeme neue Mitarbeiter bei der Auftragsabwicklung unterstützen.