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Energiebranche: Welcher Versorger nutzt die Chancen der Digitalisierung?

In der Energiebranche wächst der Druck: Energiewende und Digitalisierung verändern den Wettbewerb und die Verbraucherwünsche massiv. Eine Oliver Wyman-Analyse benennt nun jene Versorger mit den besten digitalen Angeboten für Privatkunden. Weit vorne finden sich Enercity, Enpure, Eon, Innogy und Yello. Die Studie zeige aber auch: Erst die Hälfte des Potenzials wird genutzt. Und im Vereinigten Königreich haben etablierte Versorger bereits stärker auf wichtige Digitaltrends reagiert als in Deutschland.

Sollte ein Stromlieferant twittern? Muss der Gasversorger eine App betreiben, mit der Kunden den Zählerstand einscannen können? Und was ist mit dem Wunsch, den eigenen Verbrauch in Echtzeit auf dem Smartphone zu sehen oder gar zu regeln? Vor wenigen Jahren noch hätten viele traditionelle Anbieter abgewunken. Doch der Veränderungsdruck steigt schneller, als manchem Unternehmen lieb ist: „Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle gewinnt auf dem umkämpften Energiemarkt rasant an Bedeutung“, sagt Thomas Fritz, Energieexperte und Partner der Strategieberatung Oliver Wyman in Düsseldorf. „Wer eine moderne, digitalgestützte Kundeninteraktion anbietet, steigert seine Chancen“.

In einer umfassenden Untersuchung hat Oliver Wyman nun den Digitalisierungsgrad von 32 Energieversorgern auf dem deutschen Markt erhoben. Bewertet wurden die Unternehmen in drei Disziplinen: digitales Marketing, digitale Vertriebsstrategie sowie Funktionalität des Kundenportals. Die Kernfragen des Dreiklangs: Wie gut wird ein Interessent abgeholt, wie reibungslos gelingt der Übergang zum Kundenstatus – und wie viel Service bietet das Web-Portal?

Stadtwerke mit Nachholbedarf

„Über alle Unternehmen und Funktionen hinweg befinden sich die deutschen Versorger bei der Digitalisierung auf halber Wegstrecke“, kommentiert Fritz das Ergebnis. In Zahlen: Der indexierte Digitalisierungsgrad liegt bei 51 von 100 möglichen Punkten. Die zum Vergleich herangezogenen britischen Energieversorger kommen auf 52 Indexpunkte. „Wir haben zwei der dynamischsten Endkundenmärkte in Europa gegenübergestellt – und ein ähnliches Gesamtbild erhalten“, erklärt Fritz. Er verweist aber auf Unterschiede im Detail: „Im Vereinigten Königreich schneiden traditionelle Versorger besser ab als in Deutschland.“

Jenseits des Ärmelkanals schaffen es die traditionellen Versorger noch, die digitalen Angreifer in allen Disziplinen zu übertrumpfen – anders als hierzulande. „Die angestammten Versorger hinterlassen in Summe einen stärkeren Eindruck als in Deutschland“, sagt Jörg Stäglich, Leiter der europäischen Energieversorger-Practice von Oliver Wyman. Das sei auch der Marktstruktur geschuldet, denn die Konzentration im Vereinigten Königreich sei höher: „Vor allem eine Vielzahl von Stadtwerken in Deutschland tut sich noch schwer, die Digitalisierung mutig anzugehen.“

Ein allzu langes Zögern dürfte sich rächen, sagt Stäglich: „Die Wechselbereitschaft der Kunden steigt zusehends. Außerdem ist eine überzeugende Digitalstrategie in Richtung Verbraucher die Basis für ein funktionierendes Energiemanagement, das mit der Verbreitung von Smart-Metern Einzug hält.“

Auch sei nicht auszuschließen, dass globale Tech-Konzerne wie Google oder Amazon das Feld der Bereitstellung für sich entdecken sowie andere branchenferne Unternehmen, wie beispielsweise die Deutsche Bahn, die seit vergangenem Jahr Strom anbietet. „Das Rennen ist spannend und der Ausgang längst nicht klar“, sagt Stäglich.

Kundenbindung per App

Aufschlussreich sei der Blick in die Unterkategorien: In Deutschland präsentiert laut Analyse Eon das überzeugendste Digitalmarketing. Der Essener Konzern steigert die Zahl seiner Erstkontakte, indem er Texte für Suchmaschinen optimiert und in sozialen Medien überdurchschnittlich aktiv ist. Auch die Innogy-Tochter Eprimo, die im Discount-Segment arbeitet, schneide mit einer attraktiven Webseite gut ab. Ebenso spiele die EnBW-Tochter Yello mit einer überzeugenden App im Digitalmarketing weit vorne mit.

Bei der Frage, wie effektiv die Digitalisierung auch im Vertrieb genutzt wird, verdiene sich der Hannoveraner Anbieter Enercity die Top-Platzierung. Grund sei die praktische App, die einen einfachen Vertragsabschluss ermöglicht. Auch ein Scan der Zählernummer und der Bezahlkarten sowie ein Live-Chat mit dem Versorger sind im Angebot. Der Vattenfall-Ableger Enpure schneide mit einer intuitiven Vertragsabschlussstrecke per App sowie zeitgemäßen Bezahlfunktionen ebenfalls gut ab. So auch Innogy, das mit seinem Live-Chat überzeugt.

Klassenbester beim Kundenportal sei Yello, ein weiterer Vertreter aus dem Discount-Segment. „Die Visualisierung des Verbrauchs und dessen Projektion sind gut gelöst, alle Dokumente sind digital, Abschläge können auf Knopfdruck angepasst werden – der Kundendienst ist Tag und Nacht erreichbar“, loben die Studienautoren. Auch der Digital-Angreifer Enpure biete moderne Features im Kundenkontakt – etwa Zählerstandserfassung per Kamera und Push-Nachrichten. Auch Enercity punktet mit digitalem Mehrwert: Dazu zählen das Erstellen einer Sofortrechnung innerhalb von wenigen Sekunden nach Eingabe des aktuellen Zählerstands, digitalisierte Dokumente, Live-Chat sowie eine Visualisierung und Prognose des Verbrauchs.

Kunden werden anspruchsvoller

Fritz hält den Status quo für ausbaufähig – vor allem mit Blick auf viele Stadtwerke, deren einst robustes Geschäft mit kaum hinterfragten Kundenbeziehungen nun attackiert werde. „Noch rangieren die großen, etablierten Energieversorger auf den vorderen Plätzen“, sagt Fritz. „Inhaltlich und technisch gelingen aber neuen Digitalangreifern schnelle Fortschritte. Sie werden zur Gefahr für jene etablierten Angebote, die sich langsamer bewegen.“

Die Zeit dränge: Denn Konsumenten lehnen Service nach den Maßstäben des Papierzeitalters zunehmend ab. „Strom- und Gasanbieter werden von ihren Kunden an Servicestandards gemessen, die sich in anderen Branchen längst gebildet haben“, sagt Stäglich. „Wer mit den Möglichkeiten von Apps und Alexa aufwächst, erwartet Flexibilität zunehmend auch vom Energieversorger. Diese Stimmung ist eine Steilvorlage für digitale Angreifer.“

Methodik: Für die Studie „Digital Energy Retail Index“ untersuchte Oliver Wyman 32 Energieversorger in Deutschland und 25 im Vereinigten Königreich hinsichtlich ihrer digitalen Auftritte im Privatkundengeschäft. Die Kundenportale wurden im April 2018 entlang von 81 Kriterien und 141 messbaren Datenaspekten verglichen. Beurteilt wurde dabei der Reifegrad in drei Kernaufgaben: digitales Marketing, digitaler Vertragsabschluss und Funktionalität des Portals.

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