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Digitalisierung in Marketing und Vertrieb: Deutsche Unternehmen starten holprig ins neue Jahrzehnt

Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, Blockchain & Co.: Unternehmen nutzen in vielen Bereichen die Digitalisierung bereits als Hebel zur Steigerung von Effizienz und Effektivität. Für die Unternehmensfunktionen Marketing und Vertrieb weisen sie allerdings noch Nachholbedarf auf.

Die Studie „Digitalisierungsindex in Marketing und Vertrieb“ von KPMG in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Rainer Elste (Hochschule Esslingen) legt nahe, dass im Rahmen vielfältiger Digitalisierungsinitiativen ein Flickenteppich entstanden ist und die Kundensicht vielfach vernachlässigt wurde. Eine durchgängige positive Customer Experience über analoge und digitale Schnittstellen hinweg ist somit die absolute Ausnahme. Damit verpassen viele Unternehmen die Chance, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und ihre Marktposition zu stärken.

Unerlässlich: Eine digitale Agenda

Mögliche Ursachen dieses Flickenteppichs liegen in der durch die Digitalisierung gestiegenen Komplexität, einer fehlenden Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensfunktionen sowie einer nicht hinreichenden Zielsetzung und Erfolgsmessung digitaler Maßnahmen begründet. Während das Internet im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts noch für den Aufbau einer eigenen Webpräsenz im Vordergrund stand, wurde es im zweiten Jahrzehnt für den Ausbau weiterer digitaler Instrumente wie Plattformen, Webshops oder mobiler Anwendungen genutzt. Das nächste Jahrzehnt müsse nun dafür genutzt werden, eine friktionsfreie Kundenbetreuung zu etablieren, Komplexität und Silos in Abteilungen abzubauen und die Kundenbegeisterung durch die Digitalisierung in den Vordergrund zu rücken. Eine digitale Agenda – verbunden mit Zielsetzung und Erfolgsmessung von aufwändigen Digitalisierungsmaßnahmen – sei dabei unerlässlich.

Die Studie zeige auch, dass deutsche Familienunternehmen zwar zaghafter, aber dafür konsequenter digitalisieren als mehrheitlich kapitalmarktorientierte Unternehmen (Corporates). Letztere beginnen häufiger Projekte, führen sie dann aber nicht immer richtig zu Ende – das wirkt sich negativ auf das Kundenerlebnis aus. Familienunternehmen profitieren insbesondere von kurzen Entscheidungswegen, müssen allerdings im Vergleich zu Corporates ihre Projekte aufgrund begrenzter finanzieller Mittel und Ressourcen sorgsamer auswählen. Zusätzlich zeigt sich, dass beide Unternehmenstypen weiterhin dringenden Nachholbedarf bei der Risikoeinschätzung von digitalen Geschäftsmodellen neuer Wettbewerber haben. Es besteht dadurch die Gefahr, dass die Unternehmen ein verändertes Marktumfeld zu spät erkennen und notwendige Anpassungen nicht oder zu spät einleiten.

Ergebnisse zeigen Luft nach oben

Insgesamt erreichen deutsche Unternehmen auf einer Skala von 0 („nicht digitalisiert“) bis 100% („vollständig digitalisiert“) einenDigitalisierungsindex-Wert in Marketing und Vertrieb von 49 Prozent. Die Hälfte des Weges zu einer durchgängigen und wertschöpfenden Digitalisierung ist damit erreicht. Allerdings verschieben sich durch immer neue Technologien die anwachsenden Anforderungen für eine vollständige Digitalisierung immer weiter nach oben – entsprechend laufen Marketing- und Vertriebsabteilungen in Zukunft ihrem bisherigen Indexwert hinterher. Folglich ist der zweite Teil des Weges der Schwierigere: Denn als nächstes geht es u.a. um Prozessintegration für ein nahtloses Kundenerlebnis und um komplexere Technologien wie künstliche Intelligenz.

  • Häufig fehlende Zielsetzung und Erfolgsmessung: Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen hat eine klare Vorstellung, welche kurz, mittel und langfristigen Unternehmensziele mit der Digitalisierung in Marketing und Vertrieb erreicht werden sollen. Nur 16 Prozent der Unternehmen messen den Erfolg konsequent hinsichtlich der avisierten Zielerreichung.
  • Fokus auf Umsatzsteigerung: Die Digitalisierung wird eher für die Umsatz- als für die Effizienzsteigerung eingesetzt – gerade hierfür prädestinierte Kundenprozesse sind noch hochgradig analog.
  • Customer Journey leidet: Nur 5 Prozent der Entscheider sind der Meinung, dass Kunden ein durchgängiges Erlebnis entlang der Kundenreise wahrnehmen. Die Realität ist ein digitaler Flickenteppich mit starken Medienbrüchen.
  • Vermeintlich wenig Gefahr durch digitale Wettbewerber: Nur 8Prozent   der Verantwortlichen für Marketing und Vertrieb sehen sich durch digitale Geschäftsmodelle von Wettbewerbern bedroht.
  • Familienunternehmer weniger digitalisiert als Corporates, aber umsetzungsstark: Familienunternehmen zeigen einen geringeren Digitalisierungsgrad in Marketing und Vertrieb als Corporates, sind aber konsequenter bei der Umsetzung von Initiativen.
  • Analoge Instrumente mit hoher Relevanz: Der persönliche Verkauf ist heute noch deutlich wichtiger als von den Studienautoren erwartet, neue Instrumente und Technologien (z.B. Virtual Reality etc.) sind noch nicht im Tagesgeschäft angekommen. In Zukunft wird eine steigende Relevanz von Big Data und künstlicher Intelligenz für Unternehmen aber erwartet.

Prof. Dr. Rainer Elste, Forschungsleiter und Professor an der Hochschule Esslingen für Marketing und Vertrieb: „Ich bin überzeugt, dass die Marketing- und Vertriebsabteilungen deutscher Unternehmen noch viel Potenzial bei der Digitalisierung in dem neuen Jahrzehnt ausschöpfen können und müssen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass ein höherer Indexwert der Digitalisierung nicht immer zwingend besser ist, sondern lediglich Aufschluss über den individuellen Digitalisierungsgrad gibt. Ein digitales Optimum lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen – dies muss jedes Unternehmen je nach Branche und Größe für sich definieren. Unternehmen sollten für die Zukunft eine klare Vorstellung ihrer Ziele entwickeln und damit ihre Digitalisierungsanstrengungen gezielt forcieren.“

Digitalisierungsinitiativen müssten für einen größtmöglichen Wertbeitrag folglich vorab mit einer digitalen Agenda in Einklang gebracht und kontinuierlich überprüft werden. Und Unternehmen sollten hinterfragen, für welche Zwecke die Digitalisierung genutzt werden kann, welche Möglichkeiten zur Wettbewerbsdifferenzierung oder Kostensenkung aktuelle und zukünftige Technologien verschaffen und welche Vorteile sich schließlich für den Kunden daraus ergeben.

Und Markus Deutsch, Director im Bereich Consulting bei KPMG, ergänzt: „In Zeiten immer kürzerer Innovationszyklen und angesichts einer steigenden Geschwindigkeit gesellschaftlichen Wandels sollten Unternehmen den Kunden in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen und Prozesse durch seine Brille beurteilen. Dadurch wird ein besseres Verständnis für die Präferenzen und das Verhalten der Kunden sichergestellt. Mit dieser Vorgehensweise lässt sich feststellen, wie reibungslos analoge und digitale Kontaktpunkte ineinandergreifen und wie es sich anfühlt, Kunde zu sein.“

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