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Deutschland 2030: Mit mutigen Schritten Wachstum verdoppeln

Angesichts der fundamentalen Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft braucht Deutschland eine kreative Erneuerung. Das heißt eine Transformation in allen Segmenten der Wirtschaft und die Weiterentwicklung kritischer Rahmenbedingungen. So kann Europas größte Volkswirtschaft vor dem Hintergrund technologischer Disruption, demographischer Entwicklung, Emmisions- und Nachhaltigkeitsziele und Spannungen in den globalen Handelsbeziehungen seinen Wohlstand erhalten und Wachstumschancen nutzen.

Bis 2030 könnte Deutschland sein durchschnittliches BIP-Wachstum auf 2 Prozent beschleunigen. Damit würde der Durchschnittswert der vergangenen zwei Jahrzehnte von 1,1 Prozent Pro-Kopf-Wachstum verdoppelt; zugleich wäre es eine Verdopplung des derzeit erwarteten Wachstums bis 2030 in Höhe von 0,8-0,9 Prozent . Zum Ende der Dekade sei sogar eine höhere Wachstumsdynamik möglich. Das ist das Ergebnis des Reports „Deutschland 2030 – Kreative Erneuerung“ der Unternehmensberatung McKinsey & Company.

Fabian Billing, Deutschlandchef McKinsey: „Deutschland braucht eine kreative Erneuerung. Disruptive, radikal neue Lösungen sowie Technologiekompetenz sind eine wichtige Basis dafür. In der COVID-19-Pandemie hat Deutschland gezeigt, zu welchen Veränderungen wir in kürzester Zeit in der Lage sind. Die Krise war Adrenalin für Innovationen. Diese Dynamik müssen wir erhalten. Nicht die Erhaltung des Status Quo, sondern der Aufbruch und die mit ihm verbundenen Chancen ermöglichen auch künftig die Teilhabe an Fortschritt und Chancen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft.“

Umdenken ist angesagt

Die vergangenen 20 Jahre waren für Deutschland eine globale Erfolgsgeschichte: Mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Wachstum von 1,1 Prozent in den Jahren 2000 bis 2019 liege Deutschland auf dem Niveau der USA (1,2 %). Auch in Sachen Nachhaltigkeit sei Deutschland in der Führungsgruppe, gemessen an den Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Verglichen mit den USA sei die Einkommensverteilung hierzulande ausgeglichener (Gini-Koeffizient 29,7 vs. 41,4), der CO2-Ausstoß pro Kopf um 45 Prozent niedriger und der soziale Fortschritt höher (Rang 11 vs. Rang 28 im Social Progress Index von 163 Ländern).

Doch die Dringlichkeit eines Umdenkens sei gerade in jüngerer Zeit unübersehbar geworden: Die rasante technologische Entwicklung, vor allem der Künstlichen Intelligenz, die großen Anstrengungen, die zur Begrenzung des Klimawandels erforderlich sind, die Alterung der Gesellschaft sowie Spannungen in den globalen Handelsbeziehungen sind Kennzeichen des Wandels.

Eckart Windhagen, Senior Partner McKinsey: „Die Faktoren, die Deutschlands Erfolgsgeschichte der vergangenen 20 Jahren getrieben haben, verlieren erkennbar an Kraft. Der Außenbeitrag zur deutschen Wirtschaftsleistung lässt sich unter den heutigen Rahmenbedingungen nicht sinnvoll steigern. Der Industriesektor, traditionell eine wesentliche Stütze des wirtschaftlichen Erfolgs, ist zuletzt kaum noch gewachsen. In allen Segmenten der Wirtschaft – Industrieunternehmen, Mittelstand und Gründungsszene – brauchen wir eine beschleunigte Verlagerung von Ressourcen auf Zukunftsthemen. Und zusätzlich, bildlich gesprochen, ein Upgrade des Betriebssystems, also der Strukturen, die diesen Wandel unterstützen.“

Bewusstsein für Umbruch und Optimismus wachsen

Ein umfassender Wandel treffe auf eine vergleichsweise große Zuversicht und Aufbruchsstimmung: Vor allem die jüngere Generation sehe dem Wandel positiv entgegen. Dies zeige eine repräsentative McKinsey-Befragung aus dem Frühjahr 2021 unter den heute 20- bis 40-Jährigen, also der Generation, die in den kommenden Dekaden das Gros der Erwerbstätigen stellt. Mehr als zwei Drittel der Befragten erwarten bis 2030 einen deutlichen oder sogar radikalen Wandel in Deutschland. Befragt nach den Bereichen, die in diesem Wandel besonders wichtig sind, nennen die Teilnehmenden an vorderster Stelle ein führendes Gesundheitssystem, eine gesunde Umwelt, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen und ein modernes Bildungssystem.

Fast die Hälfte der 20- bis 29-Jährigen erwartet eine bessere oder viel bessere Situation von Gesellschaft und Wirtschaft bis 2030; in der Gruppe der 40- bis 65-Jährigen sind es nur 37 Prozent. Gleichzeitig sehen die 20- bis 29-Jährigen mit 48 Prozent deutlich stärker eine Aufbruchstimmung im Land als die 40- bis 65-Jährigen mit 34 Prozent.

Sechs Handlungsfelder für die kreative Erneuerung Deutschlands

Für den Übergang zu einem Wirtschaftsmodell mit dem Mantra „kreative Erneuerung“ müssten sechs Handlungsfelder adressiert werden: Zum einen die Transformation der Unternehmen in allen Segmenten der Wirtschaft (Handlungsfelder 1-3), zum anderen die Schaffung unterstützender Strukturen (Handlungsfelder 4-6).

1. Spitzenunternehmen: Transformation in wachstumsstarke Felder

Die Bedeutung globaler Spitzenunternehmen mit ihrem überdurchschnittlichen Anteil an Forschung und Entwicklung (F&E) und als Anker für ganze Industrie-Cluster ist in den vergangenen Dekaden weiter gestiegen. 87 Prozent der Aufwendungen für F&E in Deutschland in 2017 wurden von größeren Unternehmen (> 500 Beschäftigte) getätigt. Eines von vier Dax- und MDAX-Unternehmen kommt aus einem Sektor mit hohem Wachstumsmomentum.

Deutsche Spitzenunternehmen können die Transformation zu mehr Wachstumsmomentum anführen: in den traditionellen Kernsektoren wie Automobil, Maschinenbau und Chemie mit erfolgreichen Erneuerungen der Geschäftsmodelle, im Produktangebot und den Herstellungsprozessen, in Sektoren mit hohem Momentum durch mehr Spitzenunternehmen in Geschäftsfeldern wie Informations- und Datengeschäften, Software und Pharma.

Allerdings werde eine bloße Verschiebung der Aktivitäten einzelner Unternehmen in ein ergänzendes Geschäftsfeld nicht ausreichen, um auch künftig eine bedeutende Rolle im globalen Wettbewerb zu spielen. Vielmehr liegen die attraktivsten Zukunftsaussichten in sektorübergreifenden Wachstumsfeldern. In einem auf Deutschlands Stärken ausgerichteten dynamischeren Portfolio könne das jährliche BIP-Wachstum in 2030 durch dieses erhöhte Momentum um 0,2-0,3 Prozentpunkte erhöht werden.

2. Mittelstand: Vom Produktspezialisten zum Ökosystemspieler

Über 90 Prozent der führenden mittelständischen Unternehmen kommen aus der Hardwareproduktion. Jetzt müssen die bisherigen reinen Hardwareproduzenten zusätzlich Software und Systemsteuerungen entwickeln und die neuen Produkte in das Internet der Dinge integrieren, um auch in Zukunft eine wesentliche Rolle im Gesamtsystem zu spielen. 0,4 Prozentpunkte zusätzliches Wachstum bis 2030 in Deutschland seien allein durch die breite Nutzung von KI und Automatisierung möglich.

Im breiten Mittelstand ist Digitalisierung das drängendste Thema: In der Pandemie seien bei den meisten kleineren Unternehmen die Digitalinvestitionen zurückgegangen, während die Top-Unternehmen beschleunigt hätten. Die Digitalisierung jetzt wieder aufzunehmen und in den nächsten Jahren zum Erfolg zu führen, sei eine Priorität.

3. Gründungen „scaled from Europe“: Kommerzialisierung und Skalierung stärken

Gründer:innen sind in Deutschland zwar seit einem Jahrzehnt im Aufwind. Das Venture Capital Funding hat sich zwischen 2010 und 2020 verzehnfacht. Trotz aktueller Erfolge wurden in Deutschland im vergangenen Jahr nicht einmal 10 Prozent des Risikokapitals aktiviert wie beispielsweise in den USA (USA 137 Mrd. EUR, China 50 Mrd. EUR, Deutschland 6,4 Mrd. EUR). Derzeit gebe es 18 „Unicorns“ im Land, also junge innovative Unternehmen mit einer Marktbewertung von mehr als 1 Mrd. USD vor dem Börsengang oder einem Exit. Dabei wären mehr als die Hälfte der von McKinsey in Deutschland befragten 20-40-Jährigen bereit, unternehmerisch tätig zu werden, und jeder Zehnte würde sogar gern selbst gründen. Als Haupthindernis werden fehlendes Eigenkapital und ein zu hoher bürokratischer Aufwand genannt.

Graciana Petersen, Partnerin McKinsey: „Als Basis für erfolgreiche Unternehmensgründungen und deren Skalierung braucht es eine noch bessere Verknüpfung von Forscher:innen mit Unternehmertum, das Fördern einer umfassenden Gründerkultur – etwa indem man Misserfolge als Lernschritt anerkennt – und noch mehr Wissen über den Zugang zu Kapital.“

4. Investitionen in Technologieführerschaft: F&E-Ausgaben verdoppeln

Die Anzahl der aktiven Weltklassepatente habesich in den letzten 20 Jahren global versiebenfacht. Wer in der Technologieführerschaft abfällt, der falle früher oder später auch in der Wertschöpfung ab. McKinsey hat über 40 Technologien kategorisiert und nach technischer Reife, Branchenwirkung und Dynamik priorisiert. Das Ergebnis zeige relative Stärken von Deutschland in Forschung zu Automatisierung, nachhaltiger Energie, Materialien 2.0 und bei der Bio-Revolution, aber auch kritische Schwächen in Feldern wie angewandter Künstlicher Intelligenz und Next-Generation-Computing.

So liege die Zahl der deutschen Weltklassepatente in angewandter KI und Next-Gen Computing deutlich hinter dem Fair Share, der den Anteil an der Gesamtheit der Weltklassepatente unter Berücksichtigung des volkswirtschaftlichen Größenverhältnisses zum Spitzenreiter USA beziffert. Und das sei kritisch, berücksichtige man die Rolle dieser Zukunftstechnologien für das Wachstum. Zudem gelangen in diesen Bereichen wissenschaftliche Durchbrüche zu selten bis zur Kommerzialisierung oder Skalierung; die Übersetzung der Ideen in Produkte und Dienstleistungen bleibe oft auf der Strecke.

Eine Verdopplung der privaten und öffentlichen Investitionen in F&E und ein gezielter, starker Ausbau der (digitalen) Infrastruktur könnten das BIP-Wachstum bis 2030 schätzungsweise um 0,5 Prozentpunkte erhöhen.

Über Investitionen in F&E hinaus brauche es auch noch mehr Wissen und Transparenz in die Technologie für die Anwender:innen. Denn weniger als die Hälfte der von McKinsey befragten 20- bis 40-Jährigen in Deutschland glaubt, dass sich technologischer Fortschritt positiv auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirkt. Mehr als die Hälfte zeige sich nicht offen für Innovationen. Dieser Skepsis müsse offen begegnet und es müsse systematisch zu Technologien hingeführt werden.

5. Transformation in die Zukunft der Arbeit: Wandel von 10,5 Mio. Jobs organisieren

Bis 2030 sollen rund 4,0 Mio. Beschäftigte in andere berufliche Tätigkeitsfelder wechseln müssen – knapp 10 Prozent der Beschäftigten. Zusätzlich müssen über 6,5 Mio. in erheblichem Umfang neue Fähigkeiten aufbauen – allein, um die fortschreitende Digitalisierung umzusetzen. Ein neues, auf lebenslanges Lernen ausgerichtetes (Weiter-)Bildungssystem qualifiziert die Erwerbsbevölkerung für die Arbeitswelten der Zukunft, die sich dynamisch weiterentwickeln werden. Dabei könne Deutschland bewährte Systeme wie duale Ausbildung, Fachhochschulen, Universitäten und entsprechende Lernplattformen nutzen. Neu entwickelte Curricula definieren die erforderlichen technologischen und sozialen Kompetenzen der Beschäftigten von morgen.

6. Staat als ergebnisorientierter Partner

Der Staat mit seiner Fähigkeit zur Übernahme langfristiger und hoher Risiken spielt eine wichtige Rolle für die Investitionen in kritische Infrastrukturen und Basistechnologien. Darüber hinaus hat er eine entscheidende Rolle, den Rahmen für eine beschleunigte Dynamik der Wirtschaft zu setzen. Zwei Prioritäten stehen im Vordergrund:

  • Ganzheitliche Regulierung sicherstellen, z.B. Planungssicherheit für die Energiewende schaffen. Wir sind in den 1990ern mit Vorsprung gestartet, doch die Wende stockt, auch weil private Investoren noch mehr Klarheit über die langfristige Regulierung brauchen.
  • Stärker ergebnisorientierte Verwaltung. Die Digitalisierungs-Großprogramme kommen voran. Erfolge insbesondere der sogenannten Speedboats werden wirksam. Genehmigungsverfahren für Netzinfrastrukturen und andere Großprojekte seien eine Priorität für die nächsten Jahre.

„Deutschland hat eine einzigartige Chance, die kreative Erneuerung mit demselben Elan voranzutreiben, wie der Pandemie begegnet wurde. Wir müssen den Innovationsschwung und die kreative Erneuerung für werthaltiges Wachstum nutzen“, so Fabian Billing.

 

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