Nahezu alle Industrien müssen sich mit neuen Themen befassen: E-Mobilität, Industrial Internet of Things (IIoT), 5G, Digitalisierung – die Liste lässt sich fast endlos erweitern. In kürzester Zeit sorgen diese tiefgreifenden Veränderungen, sogenannte Disruptionen, für neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. In diesem volatilen Umfeld nimmt der Einkauf industrieübergreifend eine Schlüsselrolle ein. Allerdings muss er sich von bisherigen Strukturen lösen und neu ausrichten.
Die Schritte, die für diese Transformation des Einkaufs notwendig sind, will die neue Roland Berger-Studie „Procurement-Endgame – Die Zukunft des Einkaufs im Zeitalter von Digitalisierung und Disruption“ aufzeigen.
Der Einkauf in der Automobilindustrie muss sich heute mit dem Batteriekauf, strategischen Partnerschaften für ein vernetztes Auto und dem Einkauf neuer Softwarearten beschäftigen. Mit neuen Rahmenbedingungen sehen sich die Einkaufsabteilungen aller Industrien konfrontiert, egal ob Maschinenbau, Banken- und Versicherungen oder die chemisch-pharmazeutische Industrie. Diese, oft durch digitale Technologien getriebenen Veränderungen wirken in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich.
„Wer auf disruptive Kräfte in der eigenen Industrie keine Antworten in Bezug auf Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle parat hat bzw. nicht schnell darauf reagieren kann, riskiert seine Marktposition“, warnt Oliver Knapp, Senior Partner von Roland Berger. Der Einkauf nimmt dabei eine zentrale Position im Unternehmen ein, um diesen Wandel, der weit über eine reine „Digitalisierung des Einkaufs“ hinausgeht, erfolgreich zu meistern. „Dies ist eine einmalige Chance“, stellt Knapp in Aussicht. „Der Einkauf kann und muss sich neu positionieren und seine Rolle als Wertschöpfungspartner im Unternehmen neu definieren.“
Gefährliche Zurückhaltung in Unternehmen
Damit ein Unternehmen weiterhin konkurrenzfähig bleibt, müsse der Einkauf vor allem zwei Bereiche berücksichtigen. „Die neuen Anforderungen an den Einkauf aus disruptiven Trends und die eigene Digitalisierung müssen in der Einkaufsstrategie unbedingt berücksichtigt werden“, rät Knapp.
So werden mit zunehmender digitaler Innovation im Einkauf neben operativen, mittlerweile auch komplexere Aufgaben automatisiert erledigt: „Spezialisierte Computer-Bots und Künstliche Intelligenz können heute Themen bearbeiten, die weit über die einfache Automatisierung hinausgehen“, erklärt Sven Marlinghaus, Senior Partner von Roland Berger.
Laufen Prozesse wie die Steuerung von Lieferanten oder das Systemmanagement automatisiert ab, so nivellieren sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen. „Neue Aspekte im Einkauf gewinnen an Bedeutung, etwa die Zusammenarbeit mit neuen strategischen Partnern, Innovations-Scouting oder der Umgang mit zunehmenden Risiken und Margendruck“, stellt Marlinghaus fest.
Insgesamt seien die Veränderungen bereits weit vorangeschritten, was das Zeitfenster für eine erfolgreiche Transformation immer kleiner werden lasse. Dennoch halten sich viele Unternehmen bei der Umgestaltung des Einkaufs zurück. „Das liegt an einer gewissen Unsicherheit, wie Firmen die notwendige Neuausrichtung angehen sollen“, sagt Marlinghaus.
In wenigen Schritten zum modernen Einkauf
Dabei könne die notwendige Transformation in einem mehrstufigen Prozess gelingen. Als erstes gelte es, die Rahmenbedingungen, also branchenspezifische Trends, die Unternehmensstrategie sowie die individuellen Erfolgsfaktoren des Unternehmens zu betrachten.
Zu diesem Schritt gehöre auch eine Analyse, was die Einkaufsfunktion im Unternehmen zukünftig leisten muss und wie viel Zeit für die Transformation bleibt. „Wer nur die Digitalisierung angeht oder neue Trends im Markt außer Acht lässt, wird scheitern. Eine ganzheitliche Betrachtung aller Einflussgrößen ist entscheidend für eine erfolgreiche Transformation“, so Knapp.
Darauf aufbauend entstehen verschiedene Szenarien: Wie sollen Organisation und Rolle des Einkaufs sowie das Zuliefernetzwerk aussehen, welche Kapazitäten werden durch die digitale Standardisierung frei? Die einzelnen Faktoren müssten Unternehmen individuell gewichten und im Hinblick auf ihre Möglichkeiten bewerten.
In weiteren Schritten gehe es darum, Szenarien und strategische Maßnahmen zu realisieren. „Mit einer solchen Roadmap lässt sich die Transformation Schritt für Schritt steuern und erfolgreich umsetzen“, sagt Marlinghaus. „Passt sich die Performance der Einkaufsabteilungen nicht schnell an die disruptiven Trends an, verliert das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit.“