Autonomes Fahren hat das Potenzial, die Automobilindustrie in den kommenden Jahren grundlegend zu verändern – durch innovative Software-Technologien, Fahrzeugmodelle und „Mobilität auf Abruf“. Eine Szenario-Analyse zeigt Chancen und Risiken für die Industrie auf. Denn Automobilhersteller und Zulieferer sollten sich zeitig überlegen, welche Rolle sie auf diesem vielversprechenden Markt spielen wollen.
In ihrer neuen Studie „Autonomous driving“ gehen die Roland Berger-Experten davon aus, dass der weltweite Markt für Komponenten wie Kameras, Sensoren oder Kommunikationssysteme ein zusätzliches Umsatzvolumen von 30 bis 40 Milliarden Dollar erreichen wird. Weitere Umsätze in Höhe von 10 bis 20 Milliarden Dollar könnten dann durch hochentwickelte Software und ähnliche Produkte generiert werden.
Autonomes Fahren werde „nach 2030 zu einer regelrechten Revolution in der Automobilindustrie führen“, erklärt Wolfgang Bernhart, Senior-Partner von Roland Berger Strategy Consultants. „Deshalb sollten Automobilhersteller und Zulieferer heute schon darüber nachdenken, welche Rolle sie in diesem Zukunftsmarkt einnehmen möchten und ihr Geschäftsmodell danach ausrichten.“
Neue Software-Lösungen erfordern hohe Investitionen
Bis 2020 sollen die ersten hochautomatisierten Fahrzeuge auf Autobahnen, bis 2025 auch in Städten und bis 2030 fahrerlos „von Tür zu Tür“ fahren können. Dafür müssen Automobilhersteller allerdings noch einige Hürden überwinden. So werden für das automatische Fahren entsprechende Sensoren, Kameras und Radarsysteme benötigt. Die Herstellung dieser Komponenten und der nötigen Algorithmen übernehmen große Zulieferer oder die Autohersteller selbst.
Deutlich komplexer sei aber die Entwicklung von neuen Software-Lösungen für das vollautomatisierte Fahren. Hier geht es zum Beispiel um Algorithmen, die das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer erkennen. Damit kann das Auto auch selbständig entscheiden, ob es bremsen oder beschleunigen soll.
„In diesem komplexen Bereich betreten sowohl die OEMs als auch die Zulieferer Neuland“, erklärt Bernhart. „Sie müssen daher entscheiden, ob sie die Software selbst entwickeln wollen oder ob sie mit Technologiekonzernen, die in diesem Markt führend sind, kooperieren oder sie gar übernehmen möchten.“
Doch nur wenn Automobilkonzerne in diesem Bereich in Führung bleiben, können sie ihren Anteil am globalen Profit des Mobilitätssektors behalten. „Allerdings erfordert die Entwicklung dieser Systeme erhebliche Investitionen und Know-How aus dem Machine Learning-Bereich, einem Spezialgebiet der künstlichen Intelligenz, das besonders bei großen Internetkonzernen im Fokus steht“, sagt Bernhart.
Verschiedene Geschäftsmodelle für die Zulieferer
Bei hochautomatisierten Fahrzeugen werden heute hauptsächlich separate Funktionen von Assistenzsystemen in einem zentralen Steuergerät zusammengefasst. Durch diese neue Elektronikarchitektur verschieben sich jedoch die Lieferumfänge der einzelne Lieferanten; diese sollten daher das richtige Geschäftsmodell für diesen Markt so schnell wie möglich festlegen. Hierzu identifizieren die Roland Berger-Experten verschiedene Möglichkeiten je nach Unternehmensgröße und -spezialisierung:
– Große Systemzulieferer: Sie sollten Software-Lösungen entweder selbst entwickeln oder sich das notwendige Know-how durch gezielte Firmenakquisitionen aneignen. Der hohe Investitionsbedarf in diesem Segment wird jedoch zu einer Marktkonsolidierung führen: Langfristig werden sich nur drei bis vier große Anbieter auf dem globalen Markt durchsetzen.
– Kleine Zulieferer, die bereits Assistenzsysteme entwickeln: Die zunehmende Zentralisierung der Assistenzfunktionen zwingt Zulieferer dazu, sich neu zu fokussieren – etwa auf kostengünstige Assistenzsysteme für die wachsenden Schwellenländer.
– Zulieferer mit Fokus auf Technologieinnovationen: Diese Anbieter sollten ihre Technologieführerschaft etwa durch Bilderkennungskameras, die auf fortschrittlichen künstlichen neuronalen Netzen basieren, ausbauen. So können sie Automobilhersteller mit besseren Lösungen zu niedrigeren Kosten global beliefern.
Mobilität auf Abruf verändert Geschäftsmodelle
Ein weiterer Trend, der den Automobilmarkt stark beeinflussen wird, ist die so genannte „Mobilität auf Abruf“ durch autonome Fahrsysteme. So ist zum Beispiel denkbar, dass in Zukunft vollständig automatisierte Taxen die Fahrgäste abholen oder der Leihwagen direkt zum Kunden kommt. Diese neue Art der Mobilität wird auch das Design der Fahrzeuge sowie die Wettbewerbssituation der Automobilhersteller und der Zulieferer stark verändern. Vier Szenarien sind laut Roland Berger möglich:
– Szenario eins: Traditionelle Autobauer und Zulieferer entwickeln gemeinsam die entscheidenden Technologieelemente; OEMs bieten eigene Mobilitätslösungen an. Die klassischen Geschäftsmodelle verändern sich nicht erheblich.
– Szenario zwei: Neue Anbieter für Mobilitätslösungen dominieren diesen Markt. Einige große Automobilhersteller und Zulieferer liefern die Software-Lösungen, die für komplexe Entscheidungsprozesse des automatisierten Fahrens notwendig sind. Aufgrund der Skaleneffekte verbessert sich die Marktpositionierung dieser Anbieter vor allem im B-to-B-Geschäft – kleinere Anbieter werden vom Markt verdrängt.
– Szenario drei: Autohersteller dominieren den Markt für Mobilitätslösungen und überlassen großen Technologieunternehmen die spezialisierte Software-Entwicklung. Wenige Software-Anbieter werden so die Marktpreise bestimmen können; die Margen der OEMs geraten zunehmend unter Druck und ihre Wettbewerbsfähigkeit sinkt.
– Szenario vier: Anbieter von innovativen Mobilitätslösungen bestimmen die Produktpalette; Technologieunternehmen liefern dazu die entsprechende Software. Autohersteller und Zulieferer verlieren signifikante Anteile am „Profit Pool“ des globalen Mobilitätsmarktes.
Diese Szenario-Analyse zeigt Chancen und Risiken für die Industrie auf, anhand derer sich Automobilhersteller und Zulieferer zeitig überlegen sollen, welche Rolle sie auf diesem vielversprechenden Markt spielen wollen. so Bernhart.
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