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Europäische Banken sind bislang ohne „Digital Leader“

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In zentralen Regionen des europäischen Bankensektors gibt es zurzeit keinen „Digital Leader“, der alle Facetten eines digitalen Geschäftsmodells umfassend abdeckt. Vielmehr bewegen sich die Institute durchgehend in niedrigeren Digitalisierungsstadien, die von der Pilotierung erster Digitalisierungsideen bis zur Umsetzung erster, konkreter Projekte reichen.

Großbanken und Spezialinstitute liegen bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsmodelle mit knappem Vorsprung an der Spitze. Regionalbanken haben einen etwas niedrigeren Digitalisierungsstand, gleichwohl besetzen auch hier einige Institutsgruppen im europäischen Vergleich Spitzenpositionen. Regional betrachtet liegen Banken in Central Eastern Europe (CEE) bei der digitalen Transformation leicht vorne. In South West Europe (SW-EU) ist das Angebot an digitalen Finanzdienstleistungen deutlich geringer ausgeprägt.

Andere Branchen setzen die digitales Standards für innovatives Banking

Dies sind die übergreifenden Ergebnisse der zeb-Studie zum Stand der Digitalisierung in Kernregionen des europäischen Bankensektors. Die Strategie- und Managementberatung hatte für den zeb.pulse check 2.0 u. a. eine Befragung von über 100 Top-Entscheidern europäischer Banken aus der DACH-Region, CEE und SW-EU durchgeführt, um eine Selbsteinschätzung der Branche zum Stand der digitalen Transformation zu erhalten. Die Studie wurde nach 2015 inzwischen zum zweiten Mal durchgeführt.

„Europäische Banken investieren erheblich in den digitalen Umbau ihrer Geschäftsmodelle“, erläutert Dr. André Ehlerding, Leiter der Studie und Director bei zeb: „Andere Branchen setzen nach wie vor die digitalen Standards für innovatives Banking. Inzwischen nutzt die Hälfte aller Bankkunden Angebote von Non-Banks wie beispielsweise FinTechs. Aus unserer Sicht darf die Branche keine Zeit mehr verlieren. Sie muss die Digitalisierung der eigenen Geschäftsmodelle wesentlich konsequenter, grundsätzlicher und vor allem mutiger vorantreiben.“

Strahlkraft und Konsequenz im Digitalisierungsansatz fehlen

Die Studienergebnisse zeigen, dass europäische Finanzinstitute die Digitalisierung ihrer bestehenden Geschäftsmodelle hauptsächlich am direkten Bankenwettbewerb ausrichten, durchgreifend innovative Ansätze in der Branche dagegen selten zu beobachten sind. Eine grundsätzliche strategische Neupositionierung von Geschäftsmodellen finde noch nicht statt. Sichtbar sei stattdessen eine Vielzahl von Einzelinitiativen. Deren Ableitung aus einer umfassenden Digitalisierungs- und Transformationsstrategie erfolgt nach Angaben der Institute jedoch nur fragmentarisch. Banken sehen ihre digitale Transformation eher als evolutionären Prozess, die notwendige Innovationsgeschwindigkeit fehle jedoch.

Wesentliche Änderung zur letzten zeb-Umfrage: Die befragten Institute sehen FinTechs als externe Partner und nicht länger als Bedrohung. Fast alle Banken seien grundsätzlich kooperationsbereit und schätzen die agilen und kundenorientierten Ansätze der Finanz-Start-ups, um ihre eigenen Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Die Studienautoren von zeb erwarten, dass die Anzahl der FinTech-Kooperationen und Zukäufe zukünftig deutlich steigen wird. Wenig innovative europäische Banken könnten so auf Teilgebieten schnelle Digitalisierungserfolge erreichen.

Flexible IT-Landschaften bleiben Zukunftsszenario

Ein wesentlicher Aspekt der zeb-Studie bestand darin, die Selbsteinschätzung der Banken bezüglich ihrer aktuellen Prozess- und IT-Landschaft abzufragen. Die Vereinheitlichung und Digitalisierung von Daten sei unerlässlich, um sie umfassend über verschiedene Kanäle miteinander zu verknüpfen und nutzbar zu machen. Die Befragung im Rahmen der Studienerhebung ergab, dass die bisherigen Prozesse sowie die heutige IT nach Ansicht der Bankmanager grundsätzlich nicht auf neue, digitale Geschäftsmodelle ausgelegt sind.

Hier stehe der geringe Automatisierungsgrad in deutlichem Widerspruch zu zentralen Anforderungen der Bankkunden nach schneller Abwicklung und hoher Transparenz. „Effizienzpotenziale, z. B. kostengünstige Prozesse, werden de facto nicht genutzt. Monolithische IT-Landschaften dominieren, während nutzerzentrierte IT-Architekturen mit Echtzeitausrichtung und offenen Wertschöpfungsstrukturen noch vielfach ein Zukunftsszenario sind“, führt Ehlerding aus.

Kultur in vielen Banken behindert Innovationsdenken

Obwohl die Banken die grundsätzliche Notwendigkeit zur digitalen Transformation erkannt haben, hinken Management und Organisation bei der Implementierung des notwendigen Mindsets hinterher. So fehlt es in der gesamten Branche an Digital Leaderhip. Die Rolle des „Digital Leaders“ als übergreifender, kreativer Antreiber und Motor des digitalen Wandels wird von den Studienteilnehmern vermisst.

Es dominieren nach wie vor klassische Organisationsstrukturen anstelle agiler Alternativen. Zwar experimentieren Banken mit innovativen Arbeitsmethoden, ein flächendeckender Einsatz in relevanten Bereichen sei jedoch nicht zu beobachten, Auch eine bereichsübergreifende, kompetenzbasierte Zusammenarbeit ist nach Erkenntnissen der Studie eher die Ausnahme.

Insgesamt fühle sich das Personal in den Banken nur unzureichend auf den digitalen Wandel vorbereitet. Weder denken oder fühlen die Mitarbeiter digital noch seien Innovationskraft und digitales Mindset bisher hinreichend in der Kultur verankert. Damit bestehen nach Ansicht der Studienautoren zu wenige Freiräume für die Entwicklung digitaler Kreativität.

Mathias Gans, Studienautor und Senior Manager bei zeb, bemerkt abschließend: „Die Digitalisierung der europäischen Banken schreitet mit wachsender Geschwindigkeit voran. Dennoch ist die Branche noch weit davon entfernt, den Anschluss an die digitalen Trendsetter zu finden. Neben klassischen Themen wie Prozessen, Daten und IT sehen wir vor allem einen kulturellen und führungsbezogenen Handlungsbedarf. Die notwendigen Veränderungen erfordern Manager mit digitalem Mindset und ausgeprägten Change-Management-Kompetenzen, um die Transformation voranzutreiben und die Mitarbeiter für ihre neuen Aufgaben zu begeistern. Gelingt es nicht, diesen wichtigen Enabler der digitalen Transformation zu stärken, werden die Banken die erforderliche Veränderungsgeschwindigkeit und Radikalität im Denken in der eigenen Kernorganisation nicht erreichen.“

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