Nach der CeBIT und der Hannover Messe Industrie (HMI) hat sich bei den Analysten von PAC der Eindruck verstärkt, dass das Thema Industrie 4.0 jetzt auch von den IT-Bereichen der Anwender und den entsprechenden IKT-Anbietern sehr ernst genommen und vorangetrieben wird. Defizite gebe es dabei bei der ganzheitlichen Sicht, die „Unternehmen + Kunden + Lieferanten“ umfasse sowie bei Visionen für Smart Services.
Für die PAC-Analysten Andreas Zilch und Philipp Schalla, Autoren der „PAC Reseach Note Industrie 4.0“, war die Qualität der auf der CeBIT 2015 präsentierten Industrie 4.0- und Internet of Things-Lösungen „sehr unterschiedlich“. Nach dem „PAC I40/IoT-Reifegradmodell“ seien überwiegend Fallbeispiele gezeigt worden, die sich mit der Sammlung von Daten sowie deren Übertragung und Speicherung beschäftigen.
Die nächste Stufe „Analytics“ sei zwar in vielen Fällen schon angedacht, aber zu noch relativ geringem Grad realisiert. Innovative, neue Geschäftsmodelle sind noch relativ selten, dies ist aber auch verständlich, da dieser Reifegrad auf „Daten“ und „Analytics“ aufbaut.
Daher seien auch Fallbeispiele und Exponate wie „Smart Socks“ und andere Wearables nicht zu belächeln, sondern „bilden die Basis für die nächsten Schritte. Allerdings fehlten vielen Exponaten auf der CeBIT die praxisnahe Vision einer Business-Strategie, die schon relativ am Anfang formuliert werden sollte“.
HMI: Industrie 4.0 war allgegenwärtig
Auf der HMI sei das Thema „Industrie 4.0“ allgegenwärtig gewesen. „Aus Visionen wurden hier reale, greifbare und verständliche Beispiele, die auch funktionieren beziehungsweise
bewusst als Versuche auf der grünen Wiese gekennzeichnet werden.“ Dadurch entstehe ein klares Bild vom Reifegrad einer Gruppe an Technologien, deren effizientes Zusammenspiel momentan eines der größten Versprechen für wirtschaftliches Wachstum in der Zukunft mitbringe.
Und dieses Bild zeige, dass man zwar auf dem richtigen Weg ist, aber durchaus noch eine lange Strecke vor sich habe. Vor allem die Detail-Arbeit, die oft nicht technologischer Natur sei, wird als Herausforderung gesehen.
Die Analysten nennen als Beispiel die „Smart Factory“, an der mehrere große Industrieunternehmen wie Festo, IBM, Pilz, Siemens, Cisco, Bosch Rexroth oder Continental gemeinsam arbeiten. Die größte Herausforderung dabei liege in der Organisation dieser Zusammenarbeit. „Jeder Partner bringt seine eigenen Interessen mit in das Projekt ein, die es zu berücksichtigen gilt. Jeder Partner tritt an einer anderen Stelle an den Kunden heran und nimmt dadurch immer unterschiedliche Rollen ein. Doch auch alle Partner haben verstanden, dass nur gemeinsam eine Lösung für die modulare Fertigung gefunden werden kann.“
Ebenso seien die Erweiterung der „Plattform Industrie 4.0“ sowie die Übernahme der Schirmherrschaft durch das BMWi wichtige Themen, die eine der wesentlichen Herausforderungen im Kontext des „Internets der Dinge“ aufzeigen: die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, um die technisch möglichen Anwendungsfälle nun auch in reale Geschäftsmodelle verwandeln zu können.
Denn oft entspreche der rechtliche Rahmen nicht mehr den heutigen Geschäftsszenarien. „Besonders im Umfeld der Automobilindustrie warten viele Unternehmen darauf, ihre technologischen Fortschritte beispielsweise im Kontext des autonomen Fahrens auch auf inländischen Straßen testen zu dürfen“, so die Autoren der Untersuchung.
Lücke zwischen Realität und Vision
Gleichzeitig gebe es viele Anwendungsfälle im Umfeld von Industriemaschinen, beispielsweise in der Robotik oder in der Prozessindustrie und im Bergbau, die bereits heute funktionierende Geschäftsmodelle zeigen, in denen das Thema „Internet der Dinge“ keine Revolution, sondern die logische evolutionäre Entwicklung darstelle. Insgesamt bleibt bei den Analysten der Eindruck, dass zwischen beiden Plattformen – zur Präsentation des gleichen Themas – noch eine relativ große Lücke zwischen Realität und Vision existiere.
Im Internet der Dinge werde es nicht um Produkte gehen, sondern um Lösungen für den Kunden. Und diese würden nicht „off the shelf“, d.h. als reguläre Massenware von einzelnen Anbietern verkauft, sondern gemeinsam mit dem Kunden und weiteren Partnern ausgearbeitet werden. „Die Industrie scheint dies bereits weitgehend verstanden zu haben, die IT teilweise noch nicht.“
Insellösungen sind keine Lösung
Vernetzung, Standards, Plattformen, Communities und Sicherheit seien extrem wichtig für die Weiterentwicklung von Industrie 4.0-Initiativen. Selbst die größten Industrieunternehmen in Deutschland werden nicht in der Lage sein, allein eine „eigene“ Plattform für die selbst erstellten Produkte und Services erfolgreich im Markt zu etablieren, so die Experten.
Dies habe auch Siemens erkannt, das auf Basis von SAP HANA einen interessanten „offenen“ Industrie 4.0-Plattformansatz ankündigte. Dieser stehe insbesondere auch mittelständischen Fertigungsunternehmen für Industrie 4.0-Initiativen zur Verfügung – es wird jedoch interessant sein, wie diese die potenziellen Wettbewerbskonflikte bewerten“.
In Sachen „Industrie 4.0“ standen für PAC „Smart Factory“ bzw. entsprechende Shopfloor-Lösungen im Vordergrund. Das primäre Ziel: Daten sammeln, integrieren und analysieren, um damit eine Optimierung des Produktionsprozesses zu erreichen. Die primären Business-Ziele seien dabei Flexibilisierung der Produktion (hin zu „Losgröße 1“) und Kostenoptimierung. Auch Predictive Maintenance zur Optimierung der Wartung wurde relativ häufig gezeigt.
Der zweite wichtige Teilbereich „Smart Services“ zur Entwicklung vollkommen neuer Business Cases kam für die Analysten demgegenüber etwas zu kurz. Das Kaeser-Kompressor-Beispiel ist ja bereits hinlänglich bekannt; diese Idee sei auch (theoretisch) von vielen Fertigungsunternehmen und auch IT-Anbietern aufgenommen worden. „Allerdings oftmals noch unkonkret oder in den Anfängen, wie z. B. im Bereich Smart Farming“.
Das Fazit: Insgesamt zeigten sowohl CeBIT als auch HMI, dass Industrie 4.0 „angekommen“ ist und auch zügig zur Realität werde. Defizite gibt es dabei bei der ganzheitlichen Sicht (Unternehmen + Kunden + Lieferanten, keine Insellösungen) und den Visionen für Smart Services.
Hier die „To-do-Listen“ der Analysten für
✔IKT-Anbieter:
Industrie 4.0 ist gerade auf dem deutschen Markt ein extrem wichtiges Thema mit deutlichem Business/IT-Bezug. Die Zeit der theoretischen IT-Anbieter-Präsentationen ist allerdings vorbei, die potenziellen Kunden erwarten konkrete Lösungen und relevante Fallbeispiele/Referenzen. Hier müssen einige Anbieter noch an Qualität und Quantität arbeiten.
✔IKT-Anwender:
Industrie 4.0 bietet für IT-Abteilungen und CIOs die einmalige Chance, die eigene Position im Unternehmen zu verbessern. Industrie 4.0 ist ein Business-Thema, welches auf IKT-Themen aufbaut und gerade die horizontale Vernetzung der Prozesse zum Erfolg braucht. Die interne IT im Unternehmen sollte dies sehr zügig erkennen und entsprechende Strategien und Maßnahmen umsetzen.