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Digitalisierung braucht Köpfe, Kapital und Kooperation

IT Gipfel 2015:
Digitalisierung braucht Köpfe, Kapital und Kooperation

Der am 19. November zu Ende gegangene Nationale IT Gipfel 2015 hat gezeigt, dass er als Vernetzungsplattform funktioniert. Das intensiv behandelte Thema Industrie 4.0 lockt zunehmend auch Vertreter außerhalb der IKT-Szene an. Erfreulich war die Anwesenheit vieler Start-ups und der erkennbare Wille der Politik, die digitale Weiterbildung deutlich stärker zu betonen. Schade war, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppen am ersten Tag des erstmals 2tägigen Gipfels deutlich unterverkauft wurden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Staatssekretärin Brigitte Zypries sprachen einerseits von den Fortschritten, die Deutschland in Sachen Digitalisierung seit dem letzten Jahr gemacht hat, auf der anderen Seite beklagte insbesondere Gabriel, dass das Land laut Monitoring Report Digital Wirtschaft 2015 im Vergleich mit 10 anderen Ländern vom durchschnittlichen Rang 5 auf den unterdurchschnittlichen Platz 6 zurückgefallen ist. Die „Erfolge“ die Gabriel und Merkel ins Feld führten, waren allerdings entweder falsch gewählt oder es gab keine anderen, als die eher mittelmäßigen Fortschritte, auf die beide verwiesen: Die Einrichtung der Autobahnversuchstrecke für autonomes Fahren auf der A 9 oder die Versteigerung der Funkfrequenzen im 700 MHz-Bereich.  Deshalb betonte die Riege der Bundespolitiker, zu denen auch Arbeitsministerin Andrea Nahles, Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Innenminister Thomas DeMaiziére gehörten, dass Deutschland nachlegen müsse: In Sachen Forschung, Rahmenbedingungen, konkreter Umsetzung in den Unternehmen – vor allem im Mittelstand – digitaler Bildung, Gestaltung der Arbeit und Vernetzung.

Gabriel sagte: „Die Digitalisierung hat einen rasanten Transformationsprozess in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft eingeleitet. Um diese Transformation zu gestalten, brauchen wir einen Austausch auf 15_11_20 IT Gipfel GabrielAugenhöhe zwischen den Akteuren der IKT-Branche, IT-Anwendern und gesellschaftlichen Gruppen. Dabei spielen für mich als Wirtschaftsminister drei Elemente eine zentrale Rolle: Erstens, muss uns rasch die digitale Transformation von Wirtschaft und Industrie gelingen. Dabei müssen wir insbesondere auch den Mittelstand auf dem Weg mitnehmen. Ein zweiter Schwerpunkt ist die digitale Innovation. Wir müssen klären, wie wir bei digitalen Technologien wie beispielsweise Cloud Computing und Big Data weltweit an die Spitze kommen. Zur digitalen Innovation gehört auch die Frage, wie wir Startups besser unterstützen und vernetzen können – sowohl untereinander als auch mit etablierten Unternehmen.  Drittes Kernthema ist die digitale Souveränität, die ein selbstbestimmtes und sicheres Wirtschaften und Leben in der digitalen Welt garantieren soll. Insbesondere nach der Safe Harbor-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat das höchste Priorität. Denn wir dürfen unsere global agierenden Unternehmen nicht im Unklaren lassen, unter welchen Umständen die Übermittlung von personenbezogenen Daten über den Atlantik möglich ist.“

Industrie 4.0 das unbekannte Wesen

Um die Digitalisierungsbemühungen im Mittelstand machen sich nicht nur die Politiker Sorgen. Für einige, so IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, sei Industrie 4.0 das gleiche wie für viele Beschäftigte: „das unbekannte Wesen“. Ähnlich sahen das die Teilnehmer des Gipfels. In einer spontanen Online-Umfrage meinten 88 Prozent der Befragten, der Mittelstand sei nicht ausreichend auf die Digitalisierung vorbereitet.

Schwierig sei es vor allem, erklärten einige Diskutanten während der zahlreichen Panels, die Mentalität vieler mittelständischer Unternehmen zu verändern. Sie sind unbestritten sehr erfolgreich, auch international. Deshalb sähen zu wenige Mittelständler die Notwendigkeit, ihre Geschäftsmodelle, Produkte und Services radikal zu digitalisieren. Warum das in Zeiten der Digitalisierung dennoch bitter nötig ist, brachte Philipp Pausder, Gründer und Geschäftsführer des Heizungsbauers Thermondo auf den Punkt: „Im digitalen Zeitalter zählt die Vergangenheit nicht viel.“  Vor allem die im Mittelstand verbreitete Haltung – wir können das, weil wir das schon lange und erfolgreich machen – könne Unternehmen das Genick brechen. Inzwischen gebe es viele Beispiele, in den Branchenfremde mit neuen Konzepten und digitalen Ansätzen traditionelle Unternehmen zu marginalisieren drohen.

Den Mittelstand stärker aktivieren

Damit mittelständische Firmen mehr Digitalisierungs-Enthusiasmus entwickeln, stellt das Bundeswirtschaftsministerium neue Fördertöpfe mit insgesamt 75 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sie leichter ihr Know-how vergrößern können und um mehr konkrete Anwendungsbeispiele zu bekommen, die ihnen die Übersetzung auf ihre konkrete Situation erleichtert, boten sämtliche auf dem Gipfel anwesende Verbände (zum Beispiel Bitkom, ZVEI, VDMA, VOICE), einige Forschungsinstitute und sogar Start-ups ihre Mitarbeit und Unterstützung an. So stellte zum Beispiel die Plattform Industrie 4.0 eine Online-Karte vor, in der bereits Industrie-4.0-Projekte von mehr als 200 Unternehmen beschrieben sind. Weitere sollen dazu kommen. Die Online-Landkarte berührt verschiedene Aufgabenbereiche, die Politik, Hochschulen und Wirtschaft sich zu erledigen vorgenommen haben: Vernetzung der Unternehmen untereinander sowie Digitale Skill-Entwicklung und Qualifizierung.

Machte sich ebenfalls für die Vernetzung aller Beteiligter stark, Staatssekretärin Brigitte Zypries

Machte sich ebenfalls für die Vernetzung aller Beteiligter stark, Staatssekretärin Brigitte Zypries

Das Vernetzungsthema zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung. Nicht nur die Sprecher und Podiumsdiskutanten brachten das Thema immer wieder auf, Vernetzung geschah auf der Konferenz auch live. Dieses fast frenetische Vernetzen – Leute die sich gegenseitig vorstellten oder sich freuten, einander wieder zu sehen und sofort in Digitalisierungsthemen eintauchten – machten den eigentlichen Erfolg des IT-Gipfels aus. Ein Gipfel-Gast dazu: Es ist toll zu sehen, dass auch endlich bisher IKT-fremde Branchen den Weg zum Gipfel gefunden haben. Das ist ein großer Erfolg.“

Hubs für die Leitbranchen

Den von vielen gewonnen Eindruck – wir können die Digitalisierung nur gemeinsam erfolgreich gestalten und nur dann, wie Bundeskanzlerin Merkel es ausdrückte, „Champions der Wertschöpfung“ bleiben – gilt es, zu bewahren und zu verstärken. In diese Richtung wurde viel appelliert, gewarnt und vorgeschlagen, doch den konkretesten Vorstoß machte der Bitkom mit seinem Vorschlag, sogenannte Hubs für die Leitbranchen der deutschen und europäischen Wirtschaft wie Automobil, Logistik oder Pharmazie aber auch Banken und Versicherungen zu schaffen. In diesen Hubs sollen die Flaggschiffe der jeweiligen Branche gemeinsam mit Mittelständlern und innovativen Start-ups, Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein leistungsstarkes digitales Ökosystem bilden. Bitkom-Präsident Thorsten Dirks bezeichnet sie als „Digitalisierungszentren für die Leitbranchen in Deutschland“.

Gegen diesen konkreten Vorschlag, der in den kommenden Wochen noch endgültig ausgestaltet werden muss, fielen

  • Hinweise auf die Bedeutung des digitalen europäischen Binnenmarktes (Merkel),
  • die Forderung einer flexiblere Steuergesetzgebung (Gabriel),
  • der Appell zu einer Abkehr vom Diktat der Datensparsamkeit im Datenschutz (Garbriel),
  • der Wunsch nach intensiveren Zusammenarbeit zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen (Zypries) oder
  • die Frage wie man in Deutschland bis 2025 zur weltweit besten digitalen Infrastruktur kommen könne (Gabriel)

deutlich ab.

Fazit des 9. Nationalen IT Gipfels

Es waren die richtigen Leute da. Noch mehr Verantwortliche aus Unternehmen ohne direkten IT-Hintergrund wären sehr wünschenswert, um jeden Eindruck von Nabelschau und Selbstbeweihräucherung der IKT-Branche und der Politik-Prominenz zu vermeiden. Der Gipfel stellte die richtigen Fragen auch wenn er natürlich noch nicht alle Antworten geben konnte. Allerdings war der Auftakttag des erstmals zweitägigen Gipfels verschenkt. Es waren nicht allzu viele Teilnehmer vor Ort und die Ergebnispräsentationen der Arbeitsgruppen kamen bei weitem zu kurz. Sie wurden einer vorgeblich modernen Präsentationsform geopfert. Der Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Gabriel den Gipfel in Digitalisierungs-Gipfel umzutaufen und beim nächsten Treffen das Thema Bildung in den Vordergrund zu rücken, ist richtig. Dass der Gipfel im Jahr 2016 in Saarbrücken stattfinden wird, ist allerdings gewöhnungsbedürftig.

Foto: Mario Behling

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About Christoph Witte

Christoph Witte arbeitet als IT-Publizist und Kommunikationsberater in München. Seit langem ist er fester Bestandteil der IT-, TK und Online-Community in Deutschland.

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